JAMES JOYCE
Unter dem verbeulten Hut
mit hohem schwarzem Band
das lange Antlitz, das sich
wie ein Giebel senkt
zum spitzen Kinn,
fahle Haut, schmales
Bärtchen, verschluckt
von dunklen Augengläsern,
die jählings funkeln,
die schlanken Finger
um einen Gehstock
gewunden oder
um ein Weißweinglas;
es könnte mein Vater
sein oder der deine;
jetzt zermürbte, lebens-
gestählte Mann, fehlte
in der Bildunterschrift
das Detail – strahlen wie
ein Heresiarch, ein gefallener
Engel – seines Namens.
− John Montague und Iain Crichton Smith auf Deutsch. −
Stellt man den irischen Dichter John Montague einmal vollkommen unakademisch neben den schottischen Lyriker Iain Crichton Smith, dann fällt eine entscheidende Gemeinsamkeit besonders ins Auge: ihrer beider tiefe Verwurzelung in der jeweiligen Landschaft. Nun wäre es sicherlich eine unbotmässige Vereinfachung, sie aus diesem Grund als blosse Naturdichter zu bezeichnen. Näher kommt man der Sache dagegen wohl mit dem Begriff des Landschaftsdichters. Denn der Landschaftsdichter ist von der Geschichte und den Menschen seiner Umgebung in allen Erfahrungen, Erinnerungen und Anschauungen geprägt; er hat sein Land bereits mit dem ersten Atemzug eingesogen und atmet es später in Form von Gedichten wieder aus.
Die entdeckungsfreudige und auf Buchästhetik höchst bedachte Edition Rugerup hat nun zwei vorzügliche Auswahlbände von John Montague und Iain Crichton Smith vorgelegt. Hier geschieht Erstaunliches: Man begegnet nicht abgehobenen Dichtergestalten im Elfenbeinturm, man trifft menschliche Wesen aus Fleisch und Blut. Denn die beiden Lyriker setzen ihre Kunstfertigkeit nicht distanzstiftend, sondern distanzverringernd ein. Sie haben etwas Wichtiges und Wesentliches zu sagen, und sie tun dies mit vollem Erfolg auf verständliche und an Gefühl und Intellekt gleichermassen appellierende Weise.
John Montague wurde 1929 als Sohn irischer Auswanderer in Brooklyn geboren, wuchs allerdings in der nordirischen Grafschaft Tyrone auf. Gerade diese Doppelerinnerungen der Kindheit führen in vielen Gedichten zur literarischen Spurensuche. Dabei sind die Spuren der eigenen Familie nicht getrennt zu denken von der irischen Geschichte, auf die Montague hin und wieder mit grossem Zorn und noch grösserer Melancholie reagiert. Denn die eindringlichste Anklage ist oft die blosse Aufzeichnung des Geschehens. — Der Gang des Knaben mit Eimern zur Wasserquelle, der Bauernfiedler, das Pflügen eines Hügelackers, das Meer, die Klippen, die Gletscherseen: Überall verbindet Montague die Genauigkeit seiner Beobachtungen mit prägnanter Verlängerung in bald gute, bald problematische Zeitläufte. Dabei entzündet er im Alltäglichen ein Feuerwerk kleiner Epiphanien. Dies kann natürlich auch eine Bürde sein: „Es gibt Tage, da / müsste man sich den Kopf / abrupfen können / wie einen alten, verbeulten / Helm [. . .] / und ihn fest niedersetzen / ins Bett eines fliessenden Baches“, wünscht sich Montague, denn auf diese Weise könne der Bach Mund und Augen klarspülen und zur Liebe bereitmachen.
Jürgen Brôcan, Neue Zürcher Zeitung, 16.12.2008
Dies ist eine schön gemachte, beinahe exklusiv zu nennende, zweisprachige Ausgabe (englisch – deutsch). Sie stammt aus einem schwedischen Verlag und versammelt Gedichte von John Montague aus zwölf Werken und einem Zeitraum von 1958 – 2004. John Montague wurde 1929 in New York geboren, wuchs aber seit 1933 in Nordirland bei seinen Tanten auf einer Farm auf. Montague ergatterte ein Fullbright-Stipendium und verbrachte von 1953 an ein paar Jahre in den USA. Zurück in Irland, arbeitete er mehrere Jahre im Tourist Office in Dublin, bevor er nach Paris ging. In den Siebzigerjahren unterrichtete er am University College in Cork. 1998 war er der erste, der den „Ireland Chair of Poetry“ erhielt. Montague kennt viele der herausragenden Literaten Irlands, wie die Nobelpreisträger Seamus Heaney und Samuel Beckett. Auffällig ist bei Montagues Gedichten die über Jahre und Jahrzehnte erstaunlich gleich bleibende Konstanz im Ton. Dieser ist elegisch, getragen, manchmal ein wenig pathetisch oder sogar sentimental, vor allem wenn er Landschaft im Spiegel der Geschichte beschreibt (z.B. Incantation in Time of Peace). Auffällig der beinahe musikalisch-harmonische Gebrauch der Vokale, die Verwendung von Assonanz und Echo. Dass Montague ein Anhänger der mündlich vorgetragenen Lyrik ist, mag daher nicht mehr erstaunen. Er setzt mehr auf Aspekte des Binnenreims und vermeidet grössere formale Metren; hingegen kann man Montagues visuelle Darstellung als durchhaltend streng bezeichnen. Inhaltlich spiegeln seine Gedichte Kindheit, Familie, Schule, Liebe und Beziehung sowie Irlands Geschichte wieder, sind also biographisch und historisch oder beides zugleich, allerdings weisen sie durchgängig etwas Zünftiges auf, was Montague nicht in die Nähe des Nobelpreises rückt. Die zusammengestellten Gedichte sind von wenigen Stellen abgesehen sauber übersetzt.
Bernhard Robben: Vom Erfinden der Geschichte. Vier nordirische Lyriker, Merkur, Heft 458, April 1987
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