BLICK AUS DEM SELBSTPORTRÄT
seit ankunft begleitet mich
der gedanke an die abwesenheit
aus all dem, dem all, das soviel energie
aufgewendet hat für so wenig blühendes nichts,
schloherner schnee geballt zur schlacht.
bin beobachter aus dem augen-
winkel immer gewesen, weil die bedingungen
der dinge am dringlichsten schienen,
wie sie ausrinnen: in einer welt
aus lauter unspektakulärem
beschäftigt mich wochenlang das aus
terrassenfugen sich mühende schaumkraut.
immergrüner Strauch oder Baum, „das der bildung zu grunde liegende wort ist völlig dunkel“ (Grimm), auch Queckolder oder Kranewitt (von mhd. kranewite, ahd. kranawitu = Kranichholz, zu: krano = Kranich und witu = Holz, Wald), soll böse Geister und schädliche Luft vertreiben, seine Zweige und Früchte dienen als Heilmittel.
In seinem Gedichtband № 6 umkreist Jürgen Brôcan malende Autoren und literarisch begabte Maler, geht den Naturdarstellungen der Düsseldorfer Malerschule nach, entdeckt das Aktuelle im Historischen, hört Musik und erkundet wenig bekannte Orte im Ruhrgebiet.
„In allen diesen Gedichten bilden Eigenerfahrung und Andererfahrung im Lesenden eine schillernde Symbiose. Etwas, das das Rätselhafte im Gedicht ausmacht, es zu einem geheimnisvollen, heilenden Text formt, an dem man forschen muss, um zum beglückenden Ergebnis zu gelangen.“ (Ralf Thenior)
Edition Rugerup, Klappentext, 2018
– Wie übersetzt man van Gogh in Sprache? Können Worte einen fliegenden Raubvogel einfangen? Antworten findet man in der jüngsten Gedichtsammlung von Jürgen Brôcan und einer vom schottischen Romancier und Lyriker John Burnside edierten Anthologie, die hundert hochkarätige Naturgedichte versammelt. –
Die Seele, heisst es bei Emily Dickinson, wählt ihre Gesellschaft selbst – und dabei darf sie herrlich ungenügsam sein. Sie kann sich Aug in Auge mit Romanfiguren finden, die erlesensten Geister in Bücherregalen um sich versammeln, und niemand wird ihr deswegen auf die Finger klopfen. Aber nicht alle Tage erhält man Zutritt zu einem solchen privaten Salon.
Der deutsche Lyriker und Übersetzer Jürgen Brôcan stösst nun in seinem Gedichtband Wacholderträume die Türe auf; zugleich zeigt er sich bei der dichterischen Umkreisung seiner Gäste als Übersetzer von neuer und anderer Seite. Denn das Übersetzen, schreibt er im Essay, der den Band beschliesst, sei „nicht bloss ein Transport, bei dem etwas von Ufer zu Ufer gebracht wird“, sondern, im Geiste Novalis’, auch eine „Verbindungskunst“ – die hier nicht nur zwischen Personen, sondern auch zwischen den Künsten wirkt.
Die natürlichste Verbindung ist sicher diejenige mit den Dichterinnen und Dichtern, die – oder denen? – Brôcan sich schreibend anverwandelt. Annette von Droste-Hülshoff und Mörike sind unter ihnen, Conrad Ferdinand Meyer und Robert Walser. Solche Annäherung ist riskant, kann schnell ins Übergriffige umschlagen; dagegen schützt sich Brôcan, indem er den eigenen Ton weitgehend wahrt, nur tropfenweise das sprachliche Kolorit der Gewürdigten beifügt und vor allem deren innere Gestimmtheit einzufangen sucht. Dass er hier durchaus auch als Dichter in eigenem Recht bestehen kann, zeigt etwa ein Blick durch die Augen des in der Heilanstalt Königsfelden internierten Meyer:
vors eiserne gitter schiebt sich jetzt ein anderes
feinzeichnung des regens, bloss den hauch
heller als jenseits die unbewachte nacht
Auch Ankerpunkte der Seelenverwandtschaft sind in den Texten auszumachen. Brôcans eigene, dem unmittelbaren Umfeld zugewandte Sicht wird ins Wort gesetzt, wenn es in einem der Droste-Gedichte heisst: „in jedem halm ist weltenmitte“; oder wenn für Mörike ein paar Schritte im Hausgarten oder ein Ausflug auf den Dachboden schon genug sind an „grossen fahrten / aventiuren“. Denn nicht Weltläufigkeit entscheidet, was man sieht und zu sagen hat, sondern das „verlangen, es darzustellen“.
Eine spezielle Runde im imaginären Salon bilden Gottfried Keller, Stifter, Victor Hugo, Salomon Gessner. Sie alle versuchten sich auch als Zeichner oder Maler, und mit Ausnahme von Hugo werden sie spezifisch in dieser Rolle beleuchtet. Damit bilden sie die Scharnierstelle zwischen den Literaten und der wesentlich grösseren Zahl bildender Künstler, die im Band zur Sprache kommen. Der Versuch, ein sprachliches Inbild von deren Schaffen zu geben, ist eine Art Nagelprobe auf die Möglichkeiten dieser Art des „Übersetzens“.
Dass und wie es gelingen kann, weisen etwa die Gedichtzyklen über Vincent van Gogh und den dänischen Maler Vilhelm Hammershøi aus. Der farbflammende, rastlose Gestus des einen – „schnelle striche sind die schönsten, / in ihnen schwebt die luft um die dinge“ – ist so stimmig eingefangen wie die aus der Zeit gehobene Stille, die in den Interieurs des anderen herrscht:
das geöffnete fenster blickt auf ein anderes fenster
oder starrt in unbestimmte leere,
also sehen die zimmer in sich selbst hinein,
die türen flüstern einander zu, die bohlen tragen es weiter…
Problematischer sind manche der Gedichte, die weniger bekannte Künstler würdigen. Hier ist man oft dankbar, wenn man zum PC eilen und deren Werke auf den Bildschirm holen kann: Die pastose, heftige Diktion etwa, mit welcher der Romantiker Andreas Achenbach antritt, leuchtet ein, sobald man die tobenden Seestücke des Malers betrachtet. Generell funktionieren solche Texte am besten, wenn sie ein einzelnes Bild in den Blick nehmen; soll gleich ein ganzes Œuvre charakterisiert werden, bleibt der Eindruck bisweilen zu vage, als dass man den Künstler zeitlich und stilistisch situieren könnte.
(…)
Marcus Neuert: Vom Auflesen der kläglichen Schönheit
fixpoetry.com, 23.11.2018
Im Gespräch: Timo Brandt redet mit dem Autor Jürgen Brôcan
Die Dankesrede des Dortmunder Autors Jürgen Brôcan zur Verleihung des Literaturpreises Ruhr 2016 in Gladbeck.
Kristian Kühn im Gespräch mit Jürgen Brôcan am 16.8.2024
Jürgen Brôcan liest den Gedichtzyklus HALDENHUB am 20.2.2022 im Museum für westfälische Literatur – Kulturgut Haus Nottbeck.
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