FEMINISMUS – FERNLASTZUG
es sind diese scheinwerferkegel / ihr abblendlicht
aaaaagleitet rutscht
über die scheiben der zeit / huscht über wegweiser
aaaaazeigt
lebende bilder im wandel / panoptikum szenen der
aaaaaahnin
seht ihr sie häute schaben / in dieser kulisse bepackt mit
dem säuger im salbeifeuer / haarig die nüstern schon
schärft der jäger sein horn / schwillt ihr das bauchfell an
im nächsten tableau vivant / hackt sie erdbrocken lehm
erntet dornen im gehen / schielt nach göttern schamanen
steinern im mittag ragen / fratzen aus obsidian
seht ihr sie zwischen funzeln / hemdlos in der spelunke
von vaganten beklatscht / bier auf die hüften gestemmt
für strohsack und kohlsuppe fängt / sie läuse ein gebreste
schrubbt wie lange schon / dort hinten latrinen und wringt
laken bohnert böden / wischt rotznasen scheuert zink
während herren im saal / kontrakte verhandeln beim cognac
ganz vorn zwischen business und fitness / kauft sie sich online in
börsengeschäfte in hohe/ etagen als wirtschaftsressource
und aufhalterin von geburten / rückgängen immer mobil
den highway der zeit entlang/ reiht sich kober an kober
fenster voll weiblichkeit / rollt vorüber die führung
wird in fünfzehn minuten / wiederholt um spenden
für die restaurierung / der stimmbänder wird gebeten.
in eine Welt der aufgefächerten Lebenswirklichkeiten. Ob es sich um die Visionen einer sterbenden Magd, um die geharnischte Widerrede einer Bathseba oder um unseren Alltag zwischen Schlagerparaden und Pincodes handelt: Im vielgliedrigen Transfer zwischen Innen und Außen entzündet sich ein bilderreicher „funkverkehr“.
yedermann Verlag, Klappentext, 2010
Man kann auf das Gedicht und seine Möglichkeiten getrost vertrauen. Seine Beständigkeit über Jahrtausende und das Lesen – immer wieder grundstürzend im kleinen Eigenen – rechtfertigen das. Und man kann das Gedicht sehr ernsthaft befragen: ,Was kannst du?‘ ,Kannst du uns noch was?‘ Beinahe jedes Zusammentreffen mit Welt – gehend, erinnernd, weiterspinnend – rechtfertigt das. Karin Fellner ist eine jener DichterInnen, die beides können und tun. Zur gleichen Zeit, in der gleichen Intensität. Damit ist sie zwar nicht ganz allein: aber vor allem ist sie damit weiß Gott nicht eine von vielen.
Wer Karin Fellners Arbeit über Zeitschriftenpublikationen und die beiden Bücher avantgarde des schocks (parasitenpresse, 2005) und in belichteten wänden (yedermann Verlag, 2007) verfolgt hat, konnte sehen, dass sich da eine keine Ruhe gibt in den Fragen: ,Worüber sollte ein Gedicht sprechen?‘ Und ,von welcher Warte aus sollte es das tun?‘ Zwar schließt der Band in belichteten wänden ironisch:
ein buch der tugend das wärs
nach überdruss und massaker
gutes zu sagen zum beispiel
grummet im gischt der küste.
Doch hat er sich davor immer wieder – wenn ich das richtig sehe – nicht gescheut, genau das zu versuchen: Gutes zu sagen. Und zwar unbequemes Gutes, weit hinaus gehend über die Gischtbetrachtung.
Jetzt aber mit den vollen,
angstvollen Augen – geh ich blind
durch Mond und Stube durch den Wind
und durch sehr fremde Dinge
heißt es in dem Zitat von Christine Lavant, das die Autorin ihrem Zyklus „hangab zur kehle“ (in: Bella triste Nr. 22) voran gestellt hat. Und Karin Fellner nimmt es ebenfalls auf sich, durch sehr fremde Dinge zu gehen. Mit vollen, weiten Augen – aber sehend, erkennend und mit Blick nicht so sehr auf die eigenen Ängste. Sie widersteht dem Narzissmus. Karin Fellner übt sich nicht in dieser momentan schicken freiwilligen Selbst-Beschränkung, sie dringt immer wieder vor in die Ängste der anderen, erkundet soziale und materielle Schicksale, Einsamkeiten. Geht dahin: Anteil zu nehmen. Ich lese das auch als Entscheidung für gesellschaftliche Relevanz im Gedicht – und damit als große geistige Unabhängigkeit von einem kulturellen Kontext, dem Texte oft nicht belanglos genug sein können.
Karin Fellners Gedichte projizieren das zu Sagende oft nicht auf ein ,Ich‘; man folgt ,ihm‘, ,ihr‘, ,ihnen‘ durch visuell wie akustisch überscharfe Sekunden, Sekundenbruchteile von Lebenswirklichkeiten. Karin Fellner macht diese objektivierende Perspektive für den genuin dichterischen Text fruchtbar und demonstriert, wie manche sinnliche Dichte sich nur in einem solchen Betrachtungswinkel aufschließen lässt. Im Zyklus „hangab zur kehle“ etwa eröffnen sich über 10 Gedichte Lebensmomente im Bewusstsein einer alten Magd, der sich im Sterben vergangene Tätigkeit und Welt noch einmal kristallisieren; zugleich scheine ich als Lesende über ihrem bereits toten Körper zu schweben, mich mit „nattern / von der kalkigen decke […] in den glaskörper der / bettlägerigen frau“ zu fädeln. Ein Irrlichtern zwischen Tod und Leben:
morgen muss sie teig
walken im trog dort wachsen
brennnesseln jetzt und würmer
fressen die balken ihr haar
will in gärten wild
strählt sie es soll wuchern
aus dem feuchten grund.
Ein solcher Blick kann kippen, ohne die Frau zu eng in sich zu schnüren; und mich als Lesende stürzen lassen durch den Kollaps der zeitlichen Dimensionen, des Körpers der Frau, ihrer Lebenswelt.
Und die Lebenswelten stürzen immer wieder in Karin Fellners Gedichten – für den Arbeitslosen:
schlussverfahren sagt jemand
jemand sagt mangelware: seltsam wie ungeduld
ihn abgreift
ebne termine
oder die Autorin lässt erfahrbar werden, wie sie sich für manche (Spiel-)Figuren des gesellschaftlichen Apparats gar nicht erst aufbauen lassen. Im Zyklus „futter“ (für den Karin Fellner 2005 den Förderpreis beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb erhielt) gleiten ungreifbare ,sie‘ durch die ersten vier Gedichte wie Gespenster; sie queren „pfützen“, „sägehallen“, „theken“ und „pfade“, exakt konturierte Szenerien, ehe ich im fünften Text erfahre dass sie: „migranten“ sind, sans papiers, deren kalkulierte Unsichtbarkeit mir gezeigt worden ist – wie meine eigene Blindheit.
Wenn Karin Fellner solche ,sehr fremden Dinge‘ – und das ist hier: Menschen, die in einen Strudel zum Ding hin gezwungen werden – Gedicht werden lässt, strapaziert sie nicht eine schon recht ausgeleierte Hoch-tief-Spannung zwischen Stoff und Form oder eine zwischen Form und sich alltäglich gerierender Sprache. Die Texte haben einen sehr scharfen dichterischen Schliff – und lassen die Figuren in ihren harten Linien, mit einiger Drastik und Schonungslosigkeit, so selbstverständlich körperlich werden, als sei das der ihnen angestammte Raum. Ist er es nicht? Bei der Lektüre von Karin Fellners Gedichten verstehe ich, dass er es sein muss. Denn hier kann sich ausgesetztes Menschsein langsam zu sich hin buchstabieren, seiner Würde.
Aber: „geh ich […] / durch Mond und Stube durch den Wind“ – auch die näheren Dinge, das ,Ich‘, das ,Du‘ können sich zu sich hin buchstabieren in Karin Fellners Texten. Oder, mitunter, von sich weg. Ansetzend im Leichteren, Kleineren, das gleichfalls die Lebenswelt ausmacht: „statt ,stau‘ wünschst du dir beim abwasch / ,aura‘ zu hören aus / dem stimmkoffer“ und „gott wohnt derweil in der glottis / spielt mit den scrabbletieren.“ So kann man durchatmen, Erinnerungsbilder treiben lassen, „flackernde laubgehäuse, schwimmschule, wolken“ bis die Dichterin anklopft, daran zu erinnern: da „fehlt ein teil“ Immer. Weiter. Denn da sind Stücke Welt, die nicht nachgeben wollen.
Anja Utler, Ostragehege, Heft 55, 2009
Lesung und Gespräch aus/zu dem Band hangab zur kehle: Karin Fellner. Moderation: Nico Bleutge
Für eine bestechende poetologische Einsicht in meine eigene Gedichtproduktion bräuchte ich die Überschau eines Aliens, das die nächsthöhere Dimension bewohnt. Aber ich bin nicht außerhalb meiner Sprache. Sprachfindung – wie findet die Sprache mich? – bleibt für mich ein von der Deskription nicht einzuholendes Phänomen, das ich nur behelfsmäßig mit Wortgirlanden schmücken könnte. Etwas leichter scheint das Nachzeichnen dessen, was mir bei der Lektüre von Gedichten passiert, obgleich ich auch hier nur eine Annäherung versuchen kann.
Beim Lesen von Lyrik erweitert sich meine begrenzte Weltwahrnehmung. Scheinbar fest Gefügtes wird durchgerüttelt, ich erfahre jäh eine Verschiebung und Neuordnung von Bedeutung. Das erzeugt Aha-Erlebnisse wie bei der Einsicht in alternative kulturelle Deutungsmuster:
In einem Laborversuch bekommt die Probandin drei Holztiere vorgelegt – links Fisch, Mitte Vogel, rechts Katze. Sie soll sich die Reihenfolge merken, dann auf die andere Tischseite setzen und die Tiere in derselben Abfolge aufbauen. Eine Europäerin wird sie wieder so vor sich stellen – links Fisch, Mitte Vogel, rechts Katze. Die Befragte einer anderen Kultur sortiert sie aber – links Katze, Mitte Vogel, rechts Fisch. Und behauptet zu Recht, dies sei die richtige Anordnung, dieselbe wie vorher, denn sie nimmt nicht sich selbst als Bezugspunkt, sondern den Raum.
Ähnlich erinnern Gedichte mich daran, wie durchscheinend, dynamisch und offen „Welt“ ist. Perspektiven verrutschen, Sinnschalen brechen auf, dichotome Denkbahnen verästeln sich in alle Richtungen. Simultan sind Neon und Herz, Gras und Maschine, Orange und Blau. Gegensätze werden kurzgeschlossen, eine erquickende Durchdringung eingewohnter Wortblasen findet statt. In diesem Lesen bewahrheitet sich der vielgliedrige Transfer zwischen Innen und Außen, die quirlige Koexistenz von Eindruck und Erinnerung, Assoziation und Logik.
Wo der Alltagsrede Worte fehlen, ist Lyrik die immer weiter schreitende, sich neu erfindende Fachsprache jenseits (natur)wissenschaftlicher Dogmen. Nur sie ist in der Lage, das Schillern der Bedeutungsfalten, die Verwirbelung von Sinnen und Sinnordnungen aufzuzeigen – und damit die Komplexität des Lebens.
Lyrische Sprache aktualisiert mein Wissen darum, dass nichts fix, alles sprachgemacht und damit eine im Kopf erstellte Ordnung ist. Den Baum, der im Wort als feste Einheit existiert, gibt es nicht. Vielleicht ist er für andere ein Pavillon, Orchester oder Verkehrsknotenpunkt. Das distinkte Wahrnehmen und Denken, das die Alltagssprache diktiert, ist gewiss ein unverzichtbares Hilfswerkzeug in der täglichen Kommunikation. Aber ebenso unverzichtbar scheint mir, die Komplexität und Diversität aller Phänomene präsent zu halten, um nicht zu verkrusten.
Im Gedicht verbindet sich für mich alle Lust am Festschreiben von Wirklichkeit mit der Lust am Aufbrechen des Festgeschriebenen. In diesem Setzen und Löschen wird die Relativität und Konstruiertheit von Welt erkennbar. Das könnte beklemmend sein. Doch öffnet ein gutes Gedicht auch immer einen weiteren Atemraum. Zwar besteht jeder Vers aus Vokalen und Konsonanten, aus Silben, Vokabeln und Sätzen und bleibt somit – bei aller Freiheit im Umgang mit den Regeln – diesen Begrenzungen unterworfen. Dennoch erfahre ich mich bei seiner Lektüre nicht als Gefangene der Sprache. Warum? Weil im poetischen Sprechen auch ein Nichtsprechen liegt? Weil „Baum“ auf den Baum verweist und gleichzeitig auf den Nichtbaum? Weil somit etwas durchschimmert, das alle Kontraste übersteigt, transzendiert?
Das Alien wüsste die Antwort.
Karin Fellner, aus Aron Koban und Annett Groh (Hrsg.): denkzettelareale, Verlag Reineke & Voß, 2019
Verleihung der Christian Ferber-Ehrengabe 2021 an Karin Fellner am 5.11.2021 im Deutschen Literaturarchiv Marbach
Poetische Begegnungen: Karin Fellner trifft Thomas Kunst am 10.3.2022 im onomato künstlerverein.
Karin Fellner antwortet auf Fragen von Signaturen – von Lücken und Verrückten
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