– Nach Georg Trakls Gedicht „Der Schlaf“. –
GEORG TRAKL
Der Schlaf
2. Fassung
Verflucht ihr dunklen Gifte,
Weißer Schlaf!
Dieser höchst seltsame Garten
Dämmernder Bäume
Erfüllt von Schlangen, Nachtfaltern,
Spinnen, Fledermäusen.
Fremdling! Dein verlorner Schatten
Im Abendrot,
Ein finsterer Korsar
Im salzigen Meer der Trübsal.
Aufflattern weiße Vögel am Nachtsaum
Über stürzenden Städten
Von Stahl.
Ach, Fremdling,
bisweilen heraustreten aus sich selbst
und die niedergerungene Welt
ernüchtert betrachten.
Anbeginn und Ende. Außen.
Innen. Aufwärts oder hinab.
Dieser höchst seltsame Garten,
bläulichen Blicks, grünte er nicht?
Rosen, Veilchen, Anemonen und Malven,
Schmetterlinge und Schwalben?
Und die Sonne, erstrahlte das Meer nicht
unter ihr und die günstigen Winde,
trieben sie nicht eine gekaperte Esperanza
südlicher an einst ersehnte Gestade?
Ach, Fremdling, allein
Nacht wieder und Finsternis.
Unwetter weithin, Stürme, rasende See
und das Schiff, da zerschellt es schon
an kristallenen Felsen längst
verankert von eigener Hand.
Diese gespenstisch verlassene Küste, hoch
hinauf vor die Kulisse einer Epoche, die
Weltenende gibt, Untergang. Im Hintergrund
der Bühne Feuerschein, an der Rampe
ein aufgeriebener Held, in Trance
Textfetzen stammelnd, zweifelnd hin und her,
ist es er, der in tragender Rolle versagt oder
ist es das Trauerspiel, eine heillose Regie,
die seinen Abgang verlangt durch die Falltür.
Ach, Fremdling,
es war einmal
naheliegend
ein Arzt in Wien,
ein Fall zur Einsicht: Wer
das Glück ohne Ansehen
verachtet, wird ein Leben
nie gewinnen.
Karin Kiwus, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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