– Zu Günter Bruno Fuchs’ Gedicht „Lied des Mannes im Straßenwagen“ aus Günter Bruno Fuchs: Pennergesang. –
GÜNTER BRUNO FUCHS
Lied des Mannes im Straßenwagen
Guten Tag, Straße!
Deine Stimme ist heiser und trocken.
Deine Worte sind müdegehetzt,
aaguten Tag!
Von beiden Seiten meines Wagens
geb ich dir frisches Wasser zu trinken
aaFontänen wie Vogelschwingen
für die kleinen Randsteine
aadie haben Durst und sagen Dankeschön
für die Platten des Gehsteigs
aadie haben Durst und rütteln sich wach
für die buckligen Pflastersteine
aadie haben Durst
aaund wünschen dem Wasserwagen
aaviel Glück und ein langes Leben.
Günter Bruno Fuchs, in Berlin 1928 geboren und in dieser Stadt im April 1977 gestorben, hat, könnte man sagen, durch Berlin das Schreiben erlernt. Sein Schreibtisch stand unter dem offenen Himmel von Kreuzberg und Rixdorf. Hier und anderswo in seiner Geburtsstadt hat er sich Leute, Zeitgenossen angesehen und hat sie bei der Arbeit und beim Nichtstun beschrieben. Er ging auf die Straßen und um die Ecken, in die Kneipen, um zu träumen und zu trinken. Er kannte die Penner. Er liebte die Stadtbeschäftigungen und war unbekümmert jemand unter denen, die anderes taten, als Gedichte oder Prosa zu schreiben.
Seine Gedichte und Chansons, diese „Blätter eines Hofpoeten“, dieser lange „Pennergesang“, wirken wie Auszüge aus seinem Traum vom feuchten Leben im Hinterhof und in der Destille, unter Spreebrücken und in Galerien, in Malerateliers. „Herrn Eules Kreuzberger Kneipentraum“ war sein eigener. Er war ein dicker Akrobat, der mit Worten hantelte und das „Brevier eines Degenschluckers“ verfaßte, ein poetisches, ungebundenes, schnoddrig-zärtliches Lehrbuch. Kerr, Klabund und Tucholsky sahen ihm zuweilen über die Schulter.
Der Poet aus Berlin, Günter Bruno Fuchs, Maler und Drucker, skurriler Graphiker, melancholisch verschmitzter, clownesker Schreiber und Zeichner, war ein stets aufmerksamer Beobachter.
Sein „Lied des Mannes im Straßenwagen“ ist ein Straßenlied, ein Berliner Lied, direkt, solidarisch und ganz einfach mit Vergnügen beim Vorgang dabei. Es ist ein Sommerlied von der großen Stadt, in der das Straßenpflaster Durst hat, und vom Mann im Straßenwagen. Dieser Mann steht wie der Poet mit der Straße, dem Sommerdurst, den heißen Gehsteigen, den Steinen am Straßenrand sozusagen auf du und du. Er kennt sich aus. Er braucht die Steine nicht mehr zu zählen. An jedem heißen und trockenen Tag wird es so ähnlich sein: „Guten Tag, Straße!“ kann er im Wiedererkennen sagen. Die Feuchtigkeit, das frische Wasser, bringt Glück, und die buckligen Pflasterstraßen wünschen dem Mann bei seinem Tun Glück und langes Leben.
Das Tränken der Steine geschieht selbstverständlich, und der Wasserstrahl kommt wie „Fontänen“, es sind „Vogelschwingen / für die kleinen Randsteine“, für die toten Steine, die man mit Schuhen und Füßen streift, für die übersehenen Steine am Straßenrand, die ihr Wasser wie auf Vogelschwingen leicht bekommen. Günter Bruno Fuchs, der dicke und feuchte Poet, der selige Trinker und Schreiber aus Berlin, mochte das Leichte, das, was ihn nach oben zog und gesellig machte und sich mit Leuten allen Kalibers verständigen ließ. Wer trinkt, liebt die leichte Zunge. Er besaß sie, trinkend und dichtend, spottend und voller Zärtlichkeit, solidarisch mit Kneipengängern und Tierstimmenimitatoren, mit Schnee- und Feldhasen, mit Eulenspiegel-Naturen. „Guten Tag, Straße“, mochte er sagen, wenn er sie auf der Straße traf, sie umarmte und mit ihnen einig und eins wurde.
Er sagte „Dankeschön“ für ein Dasein, das so verlief. Er wußte, daß Glück schwer zu bekommen war. Aus diesem Grunde war er heiter und dichtete für Sperlinge und andere Vögel, für die Kreatur in der Stadt und Vorstadt, in den Randbezirken, in denen es menschlich zuging. Er suchte „Villons Herberge“ auf und war ein klein wenig Villon und Ringelnatz. Er erzählte poetische Geschichten ohne Anfang und Ende. Er wollte nicht enden, weil er weiterdichten wollte. Und das Berlin, das er kannte und dichtete, wünschte ihm wie Fuchs seinem „Mann im Straßenwagen“ Glück und langes Leben. Sein Leben war intensiv, eine Liturgie im Hinterhof und ein Zauberkunststück, eine melancholische Beichte und ein Spatzenschilpen, das in Lerchenlied übergehen konnte.
„Deine Worte sind müdegehetzt“, sagte er zur Straße. Seine Wörter, die er zu Wort kommen ließ, nahmen sich die Freiheit, aufmerksam und ungebunden zu sein. Sie liebten das gar nicht heitere Leben.
Karl Krolow, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierter Band, Insel Verlag, 1979
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