– Zu Rose Ausländers Gedicht „Paul Celans Grab“ aus Rose Ausländer: Andere Zeichen. –
ROSE AUSLÄNDER
Paul Celans Grab
Keine Blumen gepflanzt
das sei überflüssig
Nichts Überflüssiges
nur
wilder Klatsch-Mohn
schwarzzüngig
ruft uns ins Gedächtnis
wer unter ihm
blühte.
Rose Ausländer kommt aus der Bukowina. Sie kommt aus Czernowitz, wuchs in der Stadt auf, in der auch Paul Celan jung war. Viele ihrer Gedichte geben diese östliche Landschaft wieder, die der Fluß Pruth durchzieht. Sie mußte ihre Heimat verlassen und lebte fast zwei Jahrzehnte lang als Übersetzerin und Korrespondentin in New York, ehe sie in die Bundesrepublik kam. Sie lebt jetzt in Düsseldorf. 1966 war sie bei einem literarischen Preisausschreiben erfolgreich. So wurde sie bekannt. Ihr erster Versband damals hieß 36 Gerechte. In ihm ist überall von ihrer Herkunft, ihrem Dasein, ihrer Flucht durch die feindliche Welt die Rede:
Aus der Wiege fiel mein Augenaufschlag in den Pruth…
Ihre Gedichte lesen sich wie ein spätes Willkommen in einer verlorenen Landschaft:
Willkommen
Wanderer
hergeweht zu uns
aus der Steppe.
In einem neuen Gedichtband, der Andere Zeichen betitelt ist, hat Maria Luise Kaschnitz Rose Ausländers Person und ihre Verse beschrieben, hat von ihrer „kühnen und traurigen Stimme“ gesprochen und von ihrer Art, Worte zu machen:
Lautlose Worte, Fischworte werden getauscht und mit dem eigenen Atem Mühlen in Bewegung gesetzt.
Obwohl bei Rose Ausländer Orte genannt werden, sind ihre Gedichte von einer traurigen Ortlosigkeit. Überall könnte ihr Ort liegen und nirgends. Und das hier gewählte Gedicht spricht von dem letzten Ort, den ein Mensch findet. Es nennt ein Grab, nicht irgendein Grab, vielmehr die Ruhestätte ihres jüngeren Landsmannes Paul Celan auf einem unauffälligen Pariser Vorortfriedhof: und wie der Friedhof das Grab, klatschmohnbewachsen, dem Rose Ausländers Gedächtnis gilt:
Nichts Überflüssiges.
Das gilt auch für das kurze Gedicht, das mit Wenigem auskommt, um zu sagen, was übrigblieb, fast nichts: „wilder Klatsch-Mohn / schwarzzüngig“, still wuchernde Vegetation, die dieses Gedächtnis-Gedicht für einen Augenblick begleitet. „Keine Blumen gepflanzt“. Das wäre auch nicht notwendig gewesen für dieses einsetzende Gedächtnis. Nichts anderes als „Mohn und Gedächtnis“, von dem hier etwas gesagt wird. So hieß einst – man schrieb das Jahr 1952 – der Gedichtband, mit dem Paul Celan berühmt wurde.
Ein knappes Vierteljahrhundert später steht eine Frau, die wie der Tote Verse geschrieben hat, vor dem Grab dieses ihr persönlich so gut bekannt Gewesenen. Er war ihr nicht nur menschlich vertraut, er war ihr literarisch nahe. Wie Celan schreibt Frau Ausländer Gedichte einer exilierten Existenz, Gedichte einer Flucht vor Nachstellungen, Gedichte vom Unterwegssein:
Auf das Wohl
auf das Wohl
aller Wanderbrüder
Le Cháim
Ahasver.
Doch der Blick der Lyrikerin Rose Ausländer fällt auch auf das Unauffällige, auf das nichts als Stille, an den Ort Geheftete. Er ruhte so – neun kurze Zeilen lang – auf „Paul Celans Grab“ als Gedächtnis für das, was „blüht“, sein Wort, sein Gedicht, in dem sie sich wiedererkannt hatte.
Das Gedicht wirkt wie hingeflüstert. Man hört die gedämpfte Stimme – einen Satz lang. Es sind die „lautlosen Worte“, die Marie Luise Kaschnitz bei Rose Ausländer vernahm und die gewiß dieses Gedächtnis-Gedicht bestimmen. Gewissermaßen stimmlose Worte, aber doch genau genug, um zu sagen, was vom „Blühen“ übrigblieb: der wilde Mohn, Celans Blume. Celan hatte Blumen gern, liebte sie sogar. Aber sie fanden in seinen Gedichten wenig Aufnahme. Seine Gedichte waren für anderes notwendig geworden. „Keine Blumen gepflanzt / das sei überflüssig…“ Der Mohn auf dem Dichtergrab hat sich selber ausgesät.
Karl Krolow, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Erster Band, Insel Verlag, 1976
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