Kevin Junk (Hrsg.): Parabolis Virtualis

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Kevin Junk (Hrsg.): Parabolis Virtualis

Junk (Hrsg.) / Alkfaen-Parabolis Virtualis

LESBISCHE GEDICHTE 

wie lesbisch sind deine gedichte, fragte jemand
weiß ich nicht, dachte ich, was sie so tun
wenn ich nicht hinseh
es hilft nicht, sie zu beobachten
denn gedichte sind sehr scheu
eigentlich genau wie kobolde
nur räumen sie nicht auf
denn gedichte sind total chaotisch
und geschenke hinterlassen sie auch nicht im schuh
denn wovon sollten sie die kaufen
vielleicht lieben meine gedichte wörter mit „o“
sehen dabei oktopusse wie durch unterwasserfenster
oder brüste in push-up-bhs mit geplätteten nippeln
würden meine gedichte sich selbst schreiben
schrieben sie bestimmt am liebsten onomatopoesie
liebten totoro und wären oft in tokyo
hörten yoko ono endlos
glotzten dokus über bonobos
zitierten lorca und golob in sportstudios
tauchten ihre fäuste in den orinoco flow
und sängen an den ufern vom bosporus
küssten sich ganz pomo auf die nackten
pomodoro roten popos
bis auch noch der letzte homo sapiens
den glauben an die unschuld der poesie
verloren hätte

Anna Hetzer

 

 

 

Vorwort

Wenn ich nicht weiß, was ich lesen soll, dann lese ich Lyrik. Wenn mir keine Prosa vom Stapel der ungelesen Bücher ins Auge springt, dann will ich mich in sprachverspielten Gedanken verheddern, will Gefühle auf den Weißraum der Seiten projizieren, die ich so bestimmt nicht bei Netflix finden würde. Ich verstehe nicht, warum es noch immer heißt, die Lyrik sei schwer zugänglich oder verstaubt, gibt es doch so viel zu entdecken und zu ertasten. Ehrlich gesagt: Ich glaube, wir brauchen Lyrik mehr denn je, denn das queere Projekt hat in den letzten Jahren an sprachlicher Komplexität zugenommen. Die Regeln des Spiels der Repräsentation haben sich durch Medienlandschaften, Technologien und damit neue Resonanzräume verändert. Debatten um sprachliche Verschiebungen nehmen viel Platz in den eher klassischen Medien ein – leider sind sie nicht immer zielführend. Wer kann hier vermitteln?
Kaum eine andere Textgattung lädt so sehr zum Experimentieren und Assoziieren ein wie die Lyrik, die mit ihrer poetologischen Kraft neue Denkräume aufmacht und Gefühle mit Worten nachzeichnet, sie radikal ausbuchstabiert. Die Lyrik darf nicht nur mit der Sprache spielen und sie ungescholten testen; sie hat die Möglichkeit, uns ein neues Denken zu schenken – und damit wird sie politisch, denn sie birgt eine die Vorstellungskraft weitende, sanfte Radikalität. Wie schön, jemandem dabei zuzuhören, wie ein Crush sich leise einschleicht. Wie schön, Herzschmerz oder Klimawut in kurze Zeilen gebannt zu sehen. Lyrik ist, ganz pragmatisch, wie sonst keine andere Textform dank ihrer Kürze mit unserer durch Textnachrichten und Messenger gestützten Alltagskommunikation verwoben. Genug Gründe also, den lyrischen, queeren Stimmen der Gegenwart zuzuhören, wenn sie von Begehren erzählen, Körper erkunden und gesellschaftliche Teilhabe einfordern.
Die Texte der elf Autor*innen, die in diesem Band versammelt sind, verhalten sich zueinander nicht in Hierarchien oder gar in einer Reihenfolge; ich sehe sie mehr wie Knotenpunkte im Gewebe der Seiten. In Parabolis Virtualis kommen Autor*innen zu Wort, die sonst im Betrieb (noch) keinen Platz gefunden haben, und stehen neben Menschen, die wir schon lange gerne lesen und deren sprachliche Verve wir schätzen.
Ich freue mich darüber, dass diese Reihe ein Format hat, das in jede Hosentasche passt und damit die Barrieren der Lyrikrezeption hoffentlich erodiert. Viel Spaß bei der Lektüre – ob in der Bahn, im Boot oder im Bett, ob laut oder leise, gemütlich alleine oder in vertrauten oder fremden Armen. 

Kevin Junk, Juli 2021, Vorwort

 

Die queere Gegenwartslyrik

ist vielstimmig, mutig und divers. Sie zeigt Missstände auf, artikuliert Lebensrealitäten und zeigt sich verliebt in das Leben. Sie nutzt die Lyrik als Medium für das queere Projekt, ein sich immer in Verhandlung befindendes poetisches Unterfangen.Was ist queere Lyrik jetzt?
Diese neuen und vor allem queeren Stimmen geben darauf Antwort.

Querverlag, Klappentext, 2021

 

Beiträge zu diesem Buch:

donnerstalk mit Kevin Junk

Chris | queer.bookster mit Kevin Junk über queere Autor*innenschaft

Chris | queer bookster: Warum wir mehr Lyrik lesen sollten

Marlon Brandt | booksaregayafuck: Was ist neue, queere Lyrik?

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Instagram + Facebook +
YouTube

 

„Schreiben gegen die Norm(en)?“: Kevin Junk liest „Start a cult“, „ACAB“ und „Neue Spezies“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00