Kito Lorenc (Hrsg.): Sorbisches Lesebuch

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Kito Lorenc (Hrsg.): Sorbisches Lesebuch

Lorenc (Hrsg.)-Sorbisches Lesebuch

MEIN JÜNGSTER TAG

Steh auf, schöne Seele,
geh zu deinem Leibe.

(Aus dem sorbischen Legendenlied
,,Sintflut, Himmel, Hölle“)

Als unsre Arche nun gelandet war auf dem Planeten Dual,
ließ der alte Noack erst die beiden Raben raus, die bösen kehrten nicht zurück.

Und es ließ der alte Noack die zwei Tauben raus, die guten kamen wieder
mit den beiden Zweigen, sprachen: Blase jetzt das Duo auf der Baß-Posaune.

Blies der alte Noack auf der Baß-Posaune: Geht, seid furchtbar und vermehrt euch,
meinen Segen habt ihr. Also gingen wir die Gangway runter Paar um Paar.

Ganz vorn gingen beide Reime schön im Zweiklang-Gleichschritt,
sagt der eine häßlich: Reim dich oder – doch da hatte er ihn schon gefressen.

Vor uns trapsten die zwei Elefanten mit verschränkten Rüsseln,
nach uns tippelten die beiden Mäuse mit verfitzten Schwänzen.

Wir zwei beide gingen in der Mitte mit, ein Leib und eine Seele.
Hodan rief man mich, sie Heba, eine Seele hieß man sie von Weib.

Rechts war Krieg, jedoch wir waren links und gingen hin in Frieden
vorwärts in den heißen Tag, uns im Rücken blieb die schwarze Nacht.

Über uns im Paradiese übten fromm die Seelen, hörten wir die Englein singen,
unter uns die Höllenpfühle bebten, und verruchte Geister brüllten.

Zwinkerte dem armen Teufel zu, hing meine Kleider in die Sonnenstäubchen,
sie ging übers Wasser, winkte Gott, der saß da unterm Apfelbaum mit seiner goldnen Rute.

Beide zeigten uns im Bunde Träume, ihre Himmels- und auch Höllenkünste.
Über unsre Augen floß das Wasser, Gras wuchs drüber, ging ein Pfau drauf, schlug den Regenbogen.

Sahn Wahrheit Nackedei stummstolz die Weggefährtin leugnen,
und Lüge Kurzbein sprach: Wer einen Mund hat, hat auch Hände.

Sahn die große Form des Flickens losgetrennt vom größren Loch des Inhalts
sich vergeblich mühen, es zu decken, auch erschienen andre wundersame Wesen.

Mit der Ursache ging da die Wirkung schwanger, gab den Anlaß an an Vaters Statt,
und ein Widerspruch, der sich teils liebte, teils auch haßte, einte sich auf dem Papier, da fing es Feuer.

Und die Dinge fingen wieder an vom Urschleim. Wir erwachten. Alles war verändert, später,
grauer Vogel flog um meinen Bart, ihr klapperten die Apfelkerne, schon war der Tod uns auf den Fersen.

Kehrten alle Steine auf die rauhe Seite, rannten los, einzelne Schnecken, Krebse
überholten uns, wir fanden Hufeisen in Menge, wenig Freunde: Kohle, Blase, Strohhalm.

Und drei Kerle riefen: Daß wir ihrer doch bloß viere wären, denn dann könnten wir uns prügeln.
Und die Katze schlich dort mit dem Kater, der ihr Bündel trug zum Lande der Schlaraffen.

Endlich hatten wir ihn vor uns noch, den Tod, hörten schon sein lautes Schnarchen, doch da wars der alte Noack,
lag in seiner Arche stockbesoffen von dem Weine, den er sich gezogen an zwei Ahornpfählen.

Sahen seine Blöße, dieses Dingsda, hatte es ja an sich, sahn den Simulator in der Arche und
begriffen: Eine Sintflut hat es nie gegeben und auch nach uns nicht die Sintflut.

Meine Kleider fielen aus den Sonnenstäubchen, sie sank ein ins Wasser, mußte schwimmen:
Wir erschauten die zwei Ewigkeiten unsres Ungeborenseins und Totseins, im Unendlichen erst trafen sie sich nie.

Und wir kriegen Kinder, Arbeit ist uns Spiel und Spiel wie Arbeit, wir gewöhnen uns an den Planeten Dual.
Lachen – Weinen sind in seinem Sack. Nur die Worte gehen fremd. Liebste, sagt ein Wörtlein, oder zwei.

Kito Lorenc

 

 

 

Vorbericht

Nach einem überlieferten sorbischen Dichterwort hat die Literatur den Auftrag, in ihrem Volk „ein lebendiges Bewußtsein seiner selbst“ wachzuhalten. Dies gilt wohl allezeit für alle Literaturen, so groß oder klein auch ihr Volk sein mag. Doch ist es hier ein Gedanke, geboren aus der tausendjährigen geistigen Not des unglücklichsten jener slawischen „Reste in Deutschland“, von denen Herder in seinen „Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit“ noch schrieb, sie seien „dem ähnlich, was die Spanier aus den Peruanern machten“.
Geboren aus der nationalen und sozialen Bedrückung einer Menschengruppe, deren Name allein schon als Schimpfwort galt, der man schließlich die Sprache verbot, um die Erinnerung noch der Sage zu tilgen und des Liedes, das „tausend Schmerz“ heilte. Und als die Sprache dennoch Schrift wurde, Heilige Schrift, als sie nicht mehr nur von der Hand in den Mund lebte, als sie ;einigen durch den Kopf ging und von der Hand, und wiederkehrte als Sprach-, Selbst- und Gemeinschaftsbewußtsein, als Bewußtsein des Ursprungs und der ethnischen Zugehörigkeit, da konfiszierte und . verbrannte man die Schriften, wo sie überhaupt Flugblatt, Zeitung, Buch werden konnten. Und die Dichter und Denker, im sorbischen Sprachgebrauch „Bemüher“ (prócowarjo) genannt, als sie sich immer noch hoffend mühten, „die sorbische Sprache lebendig zu erhalten, um mit ihrer Hilfe die höchste Stufe erreichbarer Menschheitskultur auszubilden“ (Zalěski: Tagebuch 1936), verfolgte man sie mit Haussuchungen, behördlicher Aufsicht, Bespitzelung, Verhören, Schreib- und Aufenthaltsverboten, Landesverratsprozessen.
Zu den äußeren Eingriffen, als deren nähere und fernere Folgen, traten innere Erschwernisse. Wohl ist – nach einem Ausspruch Franz Werfels über die „Schlesischen Lieder“ des Petr Bezruč – „die Unterdrückung der unendlichste Stoff“ für die Dichtung, und wohl können Schwierigkeiten und Widerstände auf literarische Produktivität stimulierend einwirken, aber Diskrimination und gesellschaftliche Isolierung konnten auch zu Substanzverlusten führen. So belasteten sie die Literatur mit dem Trauma einer exklusiv nationalen Verpflichtung (das Gegengift, das die sorbischen Autoren gegen Chauvinismus und Deutschtümelei, gegen die „Fäulnisprodukte der deutschen Zustände“ entwickeln mußten, machte ihre Produkte manchmal nicht weniger -tümlich als die der benachbarten „Grenzlanddichter“ von der deutsch-regionalen „Gesellschaft für Lausitzer Schrifttum“).
Zu den für Entstehung und Wirkung sorbischer Literatur äußerst erschwerenden Bedingungen gehörten neben dem permanenten, durch Germanisierung und Assimilation bewirkten Schrumpfungsprozeß des an sich schon kleinen Resonanzraumes der Mangel an literaturfördernden Institutionen und ein jahrhundertelang vorherrschender Analphabetismus; vielfältige Zerrissenheit durch territoriale, administrative, sprachlich-dialektale, konfessionelle Aufsplitterung tat ein übriges. Muß man nach solcher Vorgeschichte erklären, warum wir heute noch hier, nach dreißig Jahren neuer Sozietät, da der befreite Gedanke jenes sorbischen Dichters zu uns kommen kann – in sorbischer Sprache, die trotz allem lebendig geblieben ist, und in der Sprache Herders –, noch kaum ‘eine gemeinsame lebendige Vorstellung von einem sorbischen Literaturbewußtsein besitzen: von seinem Gedächtnisvorrat, seinen besonderen Erfahrungen und vom Verhältnis seiner gegenwärtigen Artikulationen zu diesem Ganzen?

Von einer künftigen sorbischen Literaturgeschichtsschreibung forderte der tschechische Sorabist Josef Páta im Jahre 1925:

Gern würden wir etwas mehr erfahren über einzelne Bücher und ihre Autoren. Wir wollen und können uns heute nicht zufriedengeben mit dem bloßen Namen, dem in Klammern die Lebensdaten und das .Erscheinungsjahr des Buches beigefügt sind, wir würden auch gern hineinschauen in diese Bücher und ihre Schicksale, das Geburtsland des Schriftstellers kennen, die Atmosphäre seiner Familie, seines Zuhause, seine Studien, Lehrer und Kontakte, seine Reisewege und Briefschaften, seine Freuden und Leiden; denn all dies erklärt auch seine literarische Tätigkeit, deren Erfolge und Niederlagen. Wir wollen auch die innersten Sehnsüchte unserer Schriftsteller kennen, ihre Pläne, ihren Anteil am Bau der heimischen Kultur – der ihres engeren Umkreises wie der des ganzen Volkes. Wir wollen auch wissen, welche Wirkungen die fremde Umgebung, die deutsche oder slawische oder die der übrigen Welt, gezeitigt hat, und dies gleichermaßen und gleichzeitig in beiden Lausitzen…

Es gehört zu den Nachwirkungen der sorbischen Literatur-Geschichte, daß wir derzeit von ihrer umfassenden Darstellung noch ein gutes Stück entfernt sind. Viele Quellen sind noch immer verdeckt. Die erstmals vollständigen kritischen Werkausgaben selbst der beiden bedeutendsten Dichtergestalten der Vergangenheit, zehn- und mehrbändige Projekte, erscheinen eben erst in diesen Jahren – eine immense nebenberufliche Forschungs-, Sammel- und Kommentierungsarbeit für zwei, drei Leute. Manch anderes, kaum weniger Umfangreiches und Wichtiges, wird noch etliche Jahre, wenn nicht Jahrzehnte warten müssen. Zwar gibt es eine Fülle von Einzelanalysen und monographischen Studien, doch konnte eine eigene sorbische Schrifttumsgeschichte – nach verschiedenen älteren russischen, polnischen, tschechischen Abrissen – erst nach 1945 in Angriff genommen werden. Sie ist bisher mit zwei Bänden nicht über den Beginn des ersten Weltkriegs hinausgelangt und umfaßt den Zeitraum, den Josef Páta 1920 in seiner Serbska čitanka (Sorbisches Lesebuch) editorisch zu erschließen suchte.
Im Gegensatz zu der ersten schmalen Buchanthologie, der Čitanka Michal Hórniks von 1863, konnte Páta es bereits unternehmen, anhand des gewachsenen Fundus sorbischen Schrifttums die „nationale und geistige Entwicklung“ des „kleinsten slawischen Volkes“ zu veranschaulichen; eine nationalistische Grundtendenz indessen, die aus Zeitumständen erklärbar ist, macht die Sammlung heute weitgehend ungenießbar. In der Struktur seines Lesebuches vermochte Pata bereits viele seiner Vorstellungen von einer lebendigen Literaturgeschichte zu verwirklichen, beeinträchtigt allerdings durch seine pädagogisch-baedekerhaften Intentionen, die zu einer Mischung von Sprachfibel, Schrifttumshandbuch und sorbenkundlichem Elementarbuch führten.
Wer heute darangeht, die Entwicklung des sorbischen Schrifttums anthologisch zu resümieren, hat eine erkleckliche Anzahl populärer Einzelauswahlen, thematischer Sammlungen, kurzlebiger Almanache und Chrestomathien für den Schulbedarf zu überblicken. Doch aus diesen unterschiedlichen Aspekten, Einblicken und Teilübersichten ergibt sich kaum schon eine Gesamtvorstellung.
Seit Beginn der siebziger Jahre ist auch erstmalig ein Serbski biografiski slownik (Sorbisches biographisches Lexikon) mit Angaben zu rund achthundert sorbischen Autoren (unter Ausschluß der lebenden) aus nahezu fünf Jahrhunderten verfügbar – eine Art Museum des sorbischen Schrifttums und ein unentbehrliches Nachschlagewerk, das in seiner Abstraktheit eine lebendige Ergänzung durch eine Textsammlung, ein Buch zum Lesen geradezu herausfordert.

Das vorliegende Lesebuch, in seinem selbstgestellten Bildungsauftrag seinen pädagogischeren Vorläufern durchaus verwandt, versucht vor allem die große Tradition des deutschen literarischen Lesebuchs für sein sorbisches Anliegen zu modifizieren. So wünschenswert ein sorbisches Elementarbuch, ein echtes „Enchiridion Vandalicum“ unserer Zeit wäre, das die verstreuten Stimmen• nicht nur bedeutender slawischer (einschließlich sorbischer), sondern auch deutscher und weiterer Kenner des Gegenstandes durch die Jahrhunderte hin zu einem Kanon der Begegnung vereinte, so dringend die engere sorbische Kulturpraxis eine literaturkundlich repräsentable Chrestomathie des muttersprachlichen Gesamtschrifttums benötigte, in der auch die schönsten Proben sorbischer Übersetzungskunst ihren Platz fänden – beides war hier nicht beabsichtigt, noch scheint es im Augenblick schon realisierbar. Angestrebt wurde, durch die Auswahl charakteristischer, ohne sonderlichen Forschungsaufwand verfügbarer Textbeispiele wie durch die Komposition der Sammlung in einem wesentlich chronologischen Aufbau den Entwicklungsprozeß der sorbischen Literatur zu modellieren: ihr allmähliches schwieriges Wachstum, den bei aller Einschränkung doch unverkennbaren inneren und äußeren Stoffwechsel dieses kleinen, relativ eigenlebigen Literaturorganismus, sein System von Korrespondenzen und Verweisungen, Längs- und Querbezügen, vor- und Rückgriffen. Vor allem sollte ihr Spektrum nach Möglichkeit durch das Prisma dieser Literatur selbst betrachtet werden, sollten die Texte für sich und wechselseitig über sich sprechen, auch mit kritischem Selbstverständnis. Das betrifft unmittelbar das dargestellte Verhältnis von Erbe und Gegenwart: So wurde das Erbe daraufhin gesichtet, inwieweit sich daraus menschlich Bedeutsames in produktive Beziehung zu Heutigem setzen läßt; aus der Gegenwart wurden Beiträge bevorzugt, die solche Beziehungen aufnehmen. Dieses übergreifende Struktur- und Funktionsprinzip gestattete weder eine kulturhistorisch strenge Ordnung noch literarhistorische Vollständigkeit, etwa in Genrefragen (die besonders durch das 19. Jahrhundert reich überlieferte in auflagenhohen Ausgaben auch deutsch zugängliche Volksdichtung zum Beispiel erscheint hier nicht in ihrem anonymen, geschichtlich oft weit Früheren Entstehungszusammenhang oder in ihrer Formenvielfalt, sondern unter den Namen ihrer wirkungsreichsten Aufzeichner andeutungsweise als ein Muster im Gefüge literarischer Traditionsbildung und -umwertung). Es konnte schließlich auch nicht eine Art soziologisch-historischer „Geographie“ der sorbischen Literatur geboten werden.
Doch alle diese Gesichtspunkte waren bei der Auswahl beteiligt, ebenso wie der subjektive Blickwinkel des Herausgebers, der als Mitautor und durch die Arbeit an dieser Anthologie an dem Selbstverständigungsprozeß der sorbischen Literatur teilhat.

Zu solchen Klärungsvorgängen zählt auch die Entscheidung, dies Sorbische Lesebuch sorbisch und deutsch zu edieren: Sie wurde nicht deswegen getroffen, um die gleichberechtigte, integrale Stellung der Sorben in der DDR zu bekunden (was keinesfalls nur eine Sprachfrage ist und vor einer einsprachigen Lesermehrheit auch nicht durch eine formale sprachliche Parität demonstriert zu werden braucht), sondern um sprachlichen Realitäten Rechnung zu tragen.
Die Form der Zweisprachenedition wurde gewählt, weil sich dieses Lesebuch ebenso an primär sorbischsprachige wie an deutschsprachige Leser wendet. Gerade bei einer Literatur, zu deren erklärten Zwecken es zählen mußte, „die sorbische Sprache lebendig zu erhalten“, lag es nahe, sie in dieser ihrer Sprache zu dokumentieren; zumal da heute mehr deutschsprachige Leser als je über die Kenntnis anderer slawischer Sprachen Zugang zu den Originalen finden könnten. Für eine Parallelausgabe sprach unter anderem, daß die sorbische Literatur, in vielen ihrer Zeugnisse slawisch-deutscher Wechselseitigkeit verpflichtet, sich heute zugleich als Teil der slawischen Literaturfamilie wie als Bestandteil der DDR-Literatur versteht und sich angesichts veränderter, mannigfache Interferenzerscheinungen zeitigender sprachlicher und literarischer Kommunikationsverhältnisse zunehmend in beiden Sprachen darbietet, während eine solche Praxis in früheren Perioden nur sporadisch auftrat. Hier bot die zweisprachige Ausgabe auch die Möglichkeit, eine größere Anzahl nur in Deutsch überlieferter Texte sorbischer Autoren besonders aus älterer Zeit aufzunehmen, die sonst für sorbischsprachige Sammlungen ab und an noch ins Sorbische übersetzt oder gar nicht berücksichtigt wurden, ohne die aber bestimmte Eigenarten der Sprachgebung im Schrifttum der Sorben nicht deutlich würden oder einige sorbische Autorengestalten nicht authentisch-gerecht erfaßt werden könnten. Ähnlich wurden den Autorenfassungen .bzw. anonymen Texten, die nur in Latein oder Sorbisch vorlagen, für deutsche Leser nach Möglichkeit ältere Übersetzungen von sorbischer Hand beigegeben, während angesichts der Zweisprachigkeit sorbischer Leser auf eine zusätzliche sorbische Übersetzung der frühen lateinischen Texte wie überhaupt auf eine durchgängig sorbisch-deutsche Sprachparität verzichtet werden konnte.
Die Zweisprachenausgabe bietet auch jenen sorbischen Lesern Vorteile, denen.nicht beide sorbischen Schriftsprachen oder all ihre historischen Varianten gleichermaßen zugänglich sind oder die aus anderen Gründen mit Hilfe der deutschen Fassungen neue Zugänge zu ihrer Literatur finden möchten. Schließlich wendet sich das Lesebuch mit dieser Sprachgestalt auch an einen nicht geringen Kreis slawischer, vor allem tschechischer und polnischer Freunde der sorbischen Literatur.
Zu dem Informationsgeflecht, das sich aus dem mehrsprachigen, kritischen Dialog der Leseproben und ihrem Zusammenspiel ergibt, tritt, neben einer Auswahl literaturbegleitender Illustrationen, ein System kommentierender Herausgebertexte – Biographien, Anmerkungen und eine Zeittafel, die Um- und Vorfeld wie gelegentliche Hintergründe der dokumentierten Literatur erläutern. Die den Lesetexten jeweils vorangestellten Biographien sind besonders bei Autoren der Vergangenheit ausführlicher gehalten, um für den deutschen Leser den Mangel an zugänglichen Nachschlagewerken auszugleichen, und bringen zum Teil eigene Ergebnisse und Wertungen ein. An Quellen wurden hierzu, neben vielen Einzeldarstellungen, hauptsächlich benutzt:
Rudolf Jenč: Stawizny serbskeho pismowstwa (Geschicht des sorbischen Schrifttums),
Frido Mětšk: Chrestomatija dolnoserbskego pismowstwa (Chrestomathie des niedersorbischen Schrifttums),
Autorenkollektiv, Serbski biografiski słownik (Sorbisches biographisches Lexikon),
Autorenkollektiv, Geschichte der Sorben sowie weitere monographische Arbeiten von J. Páta, O. Wićaz, F. Mětšk, J. Młynk und anderen.
Der Herausgeber dankt Dr. sc. Frido Michałk vom Institut für sorbische Volksforschung und Albert Wawrik, Lektor im Domowina-Verlag, für die Redaktion der sorbischsprachigen Texte und das Mitlesen der Korrekturen; Dr. habil. Frido Mětšk vom Institut für sorbische Volksforschung für sachdienliche Hinweise und Ergänzungen zur Zeittafel; Professor Dr. Pawoł Nedo, Leipzig, für Begutachtung; den Mitarbeitern der Sorbischen Zentralbibliothek und des Sorbischen Kulturarchivs für freundliches Entgegenkommen; und nicht zuletzt dem Reclam-Verlag, besonders den Lektoren Heinz Czechowski und Hubert Witt, für verständnisvolle, geduldige Förderung dieser, so langwierigen Arbeit.

Kito Lorenc, Wuischke am Czorneboh, Dezember 1978, Vorwort

 

Kito Lorenc

(geb. 1938), sorbischer Lyriker, Essayist und Nachdichter, legt mit diesem Sorbischen Lesebuch ein Ergebnis mehrjährigen Quellenstudiums vor. Aus dem „Gedächtnisvorrat“ des kleinsten der slawischen Völker vermittelt er das Bild eines Literaturprozesses, der sich in Texten unterschiedlicher Sprachen dokumentiert. Im Latein der Humanisten ebenso wie im Nieder- und Obersorbischen oder im Deutschen wird ein Modell sichtbar, den Kampf um jene nationale Identität widerspiegelnd, wie sie in der mehr als tausendjährigen Geschichte des sorbischen Volkes zum Hauptgegenstand seiner „Bemüher“ geworden ist.
Die überraschende Einmaligkeit des sorbischen Schrifttums, entstanden aus der Spannung zwischen slawischer und deutscher Literaturtradition, gibt Kunde von der Eigentümlichkeit einer unter uns lebenden Nationalität. Ihre von den Erfahrungen der Geschichte geprägte Lyrik, Prosa und Dramatik ist in der Gegenwart ein gleichberechtigter organischer Bestandteil der DDR-Literatur geworden.

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, Klappentext 1981

 

Zum 75. Geburtstag des Herausgebers:

Ulf Heise: Zwang zur Genauigkeit: Am Montag feiert Kito Lorenc seinen 75. Geburtstag
Leipziger Volkszeitung, 4.3.2013

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Lorenc“.

 

Kito Lorenc und Miodrag Pavlovic erhalten den Petrarca-Preis 2012.

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