– Zu Robert Schindels Gedicht „Kältelied“ aus Robert Schindel: Ohneland. –
ROBERT SCHINDEL
Kältelied
1
Und hast du nichts im Maul, nur Luft
Der Westwind fährt dir durchs Gewand
Du stehst herum mit deinem Großen Gähnen
Und schluckst und schluchzt. Du bis im Ohneland.
Was tust du da, was soll dir das Gelaufe
Zur Willenlosigkeit? Verborgen hast
Paar Wünscheldinge. Intensiv bis du
So laut und heiser und verstorben fast.
Was nutzts – ihr Nutzen ist die wahre Leidenschaft.
Die Menschverwalter üben ihre Macht
Sie gieren und sie registrieren.
Und auf uns senkt sich ihre Rattennacht.
2
Und hauen deinen Bruder in den Bauch
Verlangen von der Schwester Futabgaben
Gehen einher als Leute, die was haben
Und also leben, und es ist der Brauch
Daß du gesellig dich dazubequemst
Mit deiner Liebe ihren Rebbach speist
Dich unter ihren Krötenküssen dehnst.
Ach – mach sie nach. Nach ihrer Gier – dein Giern
Lebe das Leben aus der Dämmerhand
Versüß dir das vertraute Unbekannt.
Die toten Ahnen stehn dir auf der Stirn
3
Und wie sie sind so kannst nicht sein
und was du bist das bist du nicht
Die Kälte schwängert dich. Die Sucherein
Nach der PERSON in morgenrotem Licht
Verpissen sich. Dein Denken
Zerfasert. Doch dein Hasenlauf
Zuckt noch ein wenig: Du gibst auf.
Du hast die Kälte fest in den Gelenken.
Schon die Titel seiner Gedichtbände verheißen keine Harmonie. Robert Schindel liebt das schräge Bild, die unerwartete Wortpaarung, das Oxymoron, und nur wenige bewegen sich so unbekümmert und wagemutig im Garten der deutschen Sprache wie der bald fünfzigjährige Österreicher aus Wien.
In seinem ersten Gedichtband Ohneland aus dem Jahr 1986 hat Schindel den Ort bezeichnet, von dem aus er schreibt, ein Land- und Heimatloser, ein „Aushäusiger“, wie es in Österreich heißt, einer, der nicht dazugehört, ein Fremder im eigenen Land. In einem seiner jüngsten Gedichte, „Vineta“ heißt es, stellt er sich selber vor:
Ich bin ein Jud aus Wien, das ist die Stadt
Die heisse Herzen, meines auch, in ihrem Blinddarm hat
die schönste Stadt der Welt direkt am Lethefluss
Ich leb in ihr, in der ich so viel lachen muss…
Diese Standortbestimmung steht nicht im Widerspruch zum oben Gesagten; sie ist viel eher eine Erklärung dafür.
Der Sohn jüdischer Kommunisten, dem die Nazis den Vater ermordet und die Mutter durch die Konzentrationslager getrieben haben, ist zurückgekehrt an den Ausgangspunkt, in die „Wortheimat“ Wien, in die die Erinnerungen einfallen wie Krähen und den Gedanken an die Toten wachhalten. Dort lebt, liebt und schreibt er als einer, der weiß, daß er hier im Grunde nicht sein sollte. „Und schuldig ich, und wie, ein Halbgerechter / Denn ich vergnüg mich gar nicht schlecht in deutschen Landen“, heißt es in dem Gedicht, das seinem jüngsten Band Ein Feuerchen im Hintennach den Titel gegeben hat.
Aus der Spannung unterschiedlicher Herkunft lebt nicht nur Schindels 1992 erschienener Roman Gebürtig; die Spannung ist auch in den Gedichten, die ihr mit paradoxen Wortschöpfungen und widerständiger Poesie oft unmittelbarer Ausdruck verleihen, als die geregeltere Prosa dies vermöchte. Im Bänkel- und Balladenton, Villon im Gepäck und an barocker Bildersprache geschult, gibt Schindel Alltagserfahrungen wie existentiellen Befindlichkeiten Ausdruck. Im Grunde hat er nur ein Thema, und das ist er selbst. „Doch weil du tot bist, rede ich von dir / Indem ich von mir red“, sagt er im Gedicht auf den Tod eines väterlichen Freundes.
Auch im „Kältelied“ hält einer Zwiesprache mit sich selbst. Die Anrede hilft ihm, den eigenen Standort zu bestimmen:
Du stehst herum mit deinem grossen Gähnen
Und schluckst und schluchzt. Du bist im Ohneland.
Es ist, als wolle einer sich die eigene Unbehaustheit in Erinnerung rufen, bevor er es sich allzu wohl sein läßt an einem Ort, der ihn jederzeit wieder vertreiben könnte. Was tust du da?, lautet die Frage, die ohne Antwort bleibt. Sie, die andern, die Menschenverwalter, sorgen dafür, daß sie nicht zur Ruhe kommt. Schindel sagt sich vor, was sie ihm und den Seinen angetan haben und unter Umständen wieder antun könnten.
Er braucht die Mahnung, um zu verhindern, daß er, der Ausgehauste, sich dazu bequemt mit einer Liebe, die auf Gegenliebe hofft. „Ach – mach sie nach“, ruft er sich zu, „versüß dir das vertraute Unbekannt. Nützen wird’s nichts. Die toten Ahnen stehn dir auf der Stirn“ und grenzen aus – in den Augen der andern und, notwendigerweise, auch in den eigenen. Der allzu gefälligen Anpassung droht der Identitätsverlust:
Und wie sie sind so kannst nicht sein
und was du bist das bist du nicht.
Der Versuch, einen Ort zu finden, an dem man mit sich und den andern im reinen wäre, scheitert. Die Flucht gelangt an kein Ziel; sie ermüdet nur und gibt schließlich, „die Kälte fest in den Gelenken“, auf.
Doch Schindel wäre nicht der, der er ist, wenn er Kälte und Verzweiflung das letzte Wort überließe. „Gedichte vom Holz der Paradeiserbäume“ lautet der Untertitel des Bandes Ohneland. Die Spannung von sinnlichem Behagen und panikhaftem Fluchtreflex treibt eine Sprache an, die sich im Widerspruch zum Gegebenen fortlaufend neu erfindet.
Klara Obermüller, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebzehnter Band, Insel Verlag, 1994
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