– Zu Werner Bergengruens Gedicht „Der Engel spricht“ aus Werner Bergengruen: Gestern fuhr ich Fische fangen. –
WERNER BERGENGRUEN
Der Engel spricht
Gehorche. Was für ein Lohn dir bereitet?
Ich habe dir keine Verheißung zu sagen.
Dir zu Füßen ist Meer gebreitet.
Unberaten und unbegleitet
mußt du das Wagnis des Petrus wagen.
Ob dich die Wellen wie Hände tragen,
ob der Herr dir entgegenschreitet –
ich weiß es nicht, und du darfst mich nicht fragen.
„Gehorche“: Ein Gedichtanfang wie ein Paukenschlag und kein sehr angenehmer Befehl, wenn man bedenkt, daß das Gedicht nur gerade zwei Jahre, bevor in Deutschland das totale Gehorchen seinen Anfang nahm, entstanden ist. Bergengruen hat nicht zu den braunen Horden gehört. 1937 haben sie ihn mit der Begründung, er sei „nicht geeignet, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten“, aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Im gleichen Jahr ist der protestantische Deutsch-Balte zum Katholizismus übergetreten. Das Gedicht mit dem martialischen Auftakt versteht sich als Ausdruck gläubigen Vertrauens in das Wirken eines Gottes, dessen Absichten für den Menschen im dunkeln liegen.
Dem religiösen Leser dürfte das von Anfang an klar sein. Es ist ein Engel, der vom Menschen jenen Gehorsam einfordert, der nicht nach Gründen fragt und keinen Lohn verlangt:
Ich habe dir keine Verheißung zu sagen…
Unberaten und unbegleitet
mußt du das Wagnis des Petrus wagen.
Eine Garantie fürs Gelingen wird nicht in Aussicht gestellt. „Ich weiß es nicht“, sagt der Engel, „und du darfst mich nicht fragen.“ So haben zwei Jahre später auch die Führer in Deutschland gesprochen. Ob religiöser Gehorsam, wie Bergengruen ihn hier besingt, jenem anderen Gehorsam Vorschub leistet? Ganz von der Hand zu weisen ist es nicht.
Ein Leser, der Bergengruens Glaubensgewißheit nicht teilt, wird daher wohl mit Staunen, wenn nicht gar mit Befremden vor dem ausdrucksstarken kleinen Gedicht aus dem Jahr 1931 verharren. Er wird seine klassische Form, die lakonische Klarheit seiner Sprache bewundern, seine Botschaft erschließt sich ihm nicht. Wie kann ein Autor, der vier Jahre später mit Der Großtyrann und das Gericht einen so großartigen Roman über die Verführbarkeit des Menschen vorlegen sollte, einen Glauben preisen, der blind gehorcht, wie die Gefahr nicht erkennen, die in der totalen Preisgabe vernünftiger Begründungen liegt, auch und gerade, wenn es um Fragen des Glaubens geht?
Der Zwiespalt bleibt unauflösbar. Bergengruen selbst hätte den Zusammenhang von religiösem und politischem Gehorsam mit Sicherheit und, was ihn selbst betrifft, auch zu Recht weit von sich gewiesen. Ihn nicht mitzulesen in diesem Gedicht fällt jedoch, zumindest von heute aus gesehen, schwer. Und nur schwer nachvollziehbar bleibt auch, wie Bergengruen diesen Glauben durch alle Anfechtungen hindurch aufrechterhalten und eine Welt weiterhin als „heil“ preisen konnte, die sich doch alle Mühe gab, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Man hat ihm das später oft zum Vorwurf gemacht, hat den entsprechenden Titel seiner Gedichtsammlung als naiv, wenn nicht gar als zynisch empfunden und nicht verstehen können, wie einer noch im Jahr 1944 Verse wie diese zu schreiben vermochte (aus dem Gedicht „Die heile Welt“):
Wisse, wenn in Schmerzensstunden
dir das Blut vom Herzen spritzt:
Niemand kann die Welt verwunden
nur die Schale wird geritzt.
1942 ist Werner Bergengruens Haus in Solln von einer Luftmine zerstört worden. Er wußte also wohl, daß eine Welt, in der solches und noch ganz anderes geschah, nicht mehr „heil“ zu nennen war. Wenn er sie trotzdem so nannte, dann aus einem Glauben heraus, der keiner Argumente bedarf, weder solcher, die für, noch solcher, die gegen ihn sprechen. Bergengruens Glaube ließ sich vom Augenschein nicht beirren. Er war blind im wahrsten Sinne des Wortes. Blind wie der Gehorsam, den sein Engel dem Menschen abverlangt. Und wie dieser läuft er Gefahr, die guten Gründe der Vernunft außer acht zu lassen; wie dieser ist er bereit, um seiner selbst willen über das konkrete Grauen hinwegzusehen, das ein angeblich allmächtiger und allgütiger Vater auf Erden geschehen läßt.
Was hier dem Menschen abverlangt wird, ist ein Sprung ins Irrationale, ein Glaube quia absurdum, wie Kierkegaard ihn verstanden und Pascal ihn im Sinn hatte, als er von jener „Wette“ sprach, die der Mensch eingeht, ohne zu wissen, ob er sie gewinnen oder verlieren wird. Bergengruen hat sie „das Wagnis des Petrus“ genannt. Er hat es auf sich genommen, nicht aus Naivität, sondern aus einem Vertrauen heraus, das sich aus freien Stücken weiterer Fragen begibt.
Klara Obermüller, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechzehnter Band, Insel Verlag, 1993
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