Kurt Aebli: Ameisenjagd

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Kurt Aebli: Ameisenjagd

Aebli-Ameisenjagd

KOPFDURCHSUCHUNGSBEFEHL

Lebenslänglich darauf konzentriert,
die Hintergrundgeräusche zu dechiffrieren.

Die Abgründe der menschlichen Wärmelehre.

Verkrüppelte Fotografien,
die zu einem Weltbild führen.

Zu Beton gewordener betäubender Lärm.

 

 

 

„Er weiß, daß die Welt absurd ist,

er weiß, daß die Welt von diesem Wissen sich nicht erholen wird.“ Kurt Aebli ist ein unbestechlicher Archäologe der Innen- und Außenwelten. Abseits ausgetretener Pfade sucht er die Irritation, dichtet an gegen das Eingeschliffene. Er formt präzis zugespitzte Sprachfiguren, die auf alles Beiläufige verzichten. Nüchtern geben sich seine Gedichte, sie halten sich ans Alltägliche, an „Gefälschte Augen / Wirbellose Wörter. / Irgendwo ein Flecken in der Landschaft, / leicht zu buchstabieren, / wie alles, was tagsüber vergeblich / Unterschlupf sucht“.
Seine Wahrnehmungsschärfe und treffsichere Provokation durch das Unspektakuläre wurden von der Kritik als „Aeblifizierung der Welt“ bezeichnet. „In ihrem abgründigen Witz wie in ihrem paradoxalen Gestus stehen Aeblis Gedichte exemplarisch für eine Wortkunst, die man mit Fug und Recht und ganz buchstäblich als›Poesie der Gegenwart bezeichnen darf.“ (Bruno Steiger, Frankfurter Rundschau)

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 2004

 

Kurt Aebli: Ameisenjagd

Kurt Aebli hat schon mehrere Lyrikbände, auch Prosa veröffentlicht. Auffällig und für heute ungewöhnlich, wie sorgsam, wie genau er seine Worte wägt. Seine Texte sind stets höchst sorgsam gearbeitet, man ahnt, daß es Endfassungen sind, daß viel gestrichen wurde. Man tut gut daran, bei ihnen länger zu verweilen, ihre Knappheit verlangsamt das Lesen – „ich bahne mir ein Schweigen“, sagt Aebli dazu. Damit spielt er auf eine andere Sprache an, die der Natur, die andere Maße, Rhythmen, Wichtigkeiten kennt. Der Friedhof ist ein Ort, um dessen eingedenk zu sein:

Vögel rufen die Toten
mit Namen.
Lauschende Erde.

Ein solches Bildtheorem bleibt noch im Rahmen der herkömmlichen Naturlyrik. Aebli untergründet dieses idyllische Einverständnis, indem er die dauernden Steine zur Gegenpartei macht:

Die Steine
vom Geschwätz
der eingemeißelten
Daten
nicht berührt.

Nun erhebt sich freilich die Frage, wie eine Lyrik ohne das ,Geschwätz‘ von Namen, also ohne einen bezeichnenden Gestus, auskommen soll. Die Gedichte von Aebli scheinen sich auf eine Sprachkrise zuzubewegen, die einem theoretisch überflüssig vorkommt: Die Schwierigkeit, allgemein und einzigartig zugleich zu sprechen, ist ausreichend diskutiert und in jedem guten Text gelöst. Aebli, in der Nähe von Zürich lebend, vermeidet es offensichtlich, allzu oft in die Stadt zu gehen. Ein lyrisches Notat lautet:

In die Stadt gehen, wie manchmal
davon die Rede ist,
ins Wasser zu gehen.

Das treibt den Celanschen Gestus der Verweigerung schon fast ins Absurde. Am Ende einiger Kurznotate, die zu fünft ein Gedicht ergeben sollen, steht denn auch:

An allem, was zu verstehn ist,
bin ich selber schuld.

Immerhin: einige Schuld bleibt ihm, einiges läßt sich denn doch verstehen. Die Metaphern sind gutteils durchsichtig. Etwa wenn es heißt:

Plötzlich ist
der Nachmittag
mein Gewässer.

Nun sähen wir uns enttäuscht, wenn wir eine Ausfahrt oder eine Badeszene erwarteten. Aebli setzt das Wort Gewässer sehr hoch an, etwa im biblischen Bereich, auch wenn dort zumeist von Wassern die Rede ist. Er nimmt es als Gefährdung, die allenfalls für einen Christus (nicht für Moses) zu bestehen ist:

Der See, über den ich gehe.
Die Flut, die mich verschlingt.

Wir sehen: karge Worte, große Gesten, gekennzeichnet durch ihre Widersprüchlichkeit, das Eine gilt und das Andere auch. Im Subjekt selber erscheint das als Nicht-Identität, als Zerrissenheit:

Auf den Zustand, in dem ich mir alles glaube,
folgt der Zustand, in dem ich mir unheilbar
ins Wort falle.

Beide Zustände zusammen machen wohl einen Dichter aus. Und es ist schon deutlich, daß die Signatur Aeblis die Knappheit, das kurze Gedicht, die lakonische Fügung ist. Darin leistet er ganz Außerordentliches. Fast japanisch wirkt etwa der Dreizeiler „Abend“:

Ein Abend zum Stehenbleiben,
ganz gleich wo.
Die Bäume waren unbeantwortet.

Es ist die Leistung der Metapher, verschiedene Bildbereiche überraschend und erhellend zu kombinieren. So werden hier die Bäume als Briefe genommen, was eine eigene Erkenntnis stiftet. Viele Bilder gelten auch ganz wörtlich, etwa die titelträchtige Ameise. Gleichwohl ist die Lehre, die ihr Anblick bietet, höchst allgemein:

Erstaunlich viel
Angriffsfläche, diese
Lebewesen,
und dabei so
klein.

Einige Gedichte lesen sich als Hommagen an die „Gnade des Wahnsinns“, welche das Wissen spiegelt, „dass die Welt absurd ist“, und auch, „dass die Welt sich von diesem Wissen nicht erholen wird“. Man hat dem Barockdrama „leere Transzendenz“ attestiert: den Versuch, einen leergeräumten Himmel wieder und wieder zu stürzen. Aebli unternimmt das mit Gelassenheit und Trauer zugleich, findet sich das Subjekt doch in der gleichen Lage.

Er genügt sich selber wie eine Pfütze,
in der ein unbemannter Augenblick
sich spiegelt.

Konsequent geht Aeblis Lyrik in groteske und surreale Tonarten über und zitiert auch die schwarze Sonne von Rimbaud und Lautréamont:

Das Dynamit der untergehenden
Sonne. – Die ewige schwarze
Stimme in seinem
Kopf.

Die Grenzen zum Absonderlichen hin sind fließend, ebenso die Gattungsgrenzen – es gibt gefugte Verse, strömende bilderreiche Prosa, Notate, sozusagen Halbfabrikate, und schließlich in „Mexiko“ betitelten Passagen (bezogen auf eine Irrenanstalt am Mexikoplatz) mimetische Versuche, den Wahnsinn genannten Geisteszuständen auf die Spur zu kommen. Die Erfahrung aus dem Durchschreiten vieler Zustände hält fest:

Allmählich werden wir kälter und vereisen.

Im III., dem letzten Teil finden wir wieder Gedichte traditionelleren Zuschnitts. Aber der erste Eindruck täuscht: Die Verse geben sich alle Mühe, nicht direkt miteinander in Verbindung zu treten, sie sind Einfälle, von denen keine erkennbare Brücke zum nächsten führt. So will uns Aebli vielleicht springen lassen, er selbst nennt das:

mit großen Schritten zu durcheilender
leerer Zwischenraum

Die Leere muß man nicht zu streng als Metaphysikkritik auslegen, auch die andere Lesart ist erlaubt:

Zwischen den Worten kann man
den Himmel sehen.

Als Sprachsubjekt tritt Aebli vor allem in den Wortspielen hervor, die Sinn verstellen und neu erstellen: „Im Steinwerferlicht“ heißt ein Gedicht, und es beginnt:

Überlebensgroß
mein Lächeln auf der Neinwand

Das wird verdeutlicht:

Ich bin nicht
großgewachsen und bewaffnet.

Das ist verständlich, nachvollziehbar, was längst nicht für alle Texte gilt. Aeblis Lyrik fordert viel Mitarbeit vom Leser, und nicht immer wird er mit einem Erfolg belohnt.

Alexander von Bormann, Deutsche Bücher, Heft 3, 2004

 

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