– Zu Johannes Poethens Gedicht „Im labor der träume…“ aus Hans Bender (Hrsg.): Mein Gedicht ist mein Messer. –
JOHANNES POETHEN
Im labor der träume
wird das lied dieser stunde gehämmert
Stunde des flüchtigen doms
Stunde der zahlenkette
auf die alle sterne
gereiht sind
Einsame stunde der stirn
unter dem nächtlichen messer
das aus den rissen des himmels ragt.
Im labor der träume
stirbt der tod.
Lassen Sie uns heute die Poesie befachäugeln, die Herr Johannes Poethen, Jahrgang 1928, der Gegenwart 1956 zu bieten hat. Der Gedichtband, der bei Eugen Diederichs von ihm erschien, trägt den Titel Lorbeer über gestirntem Haupt. Hier kann man schon einhaken wenn man will. Ich will. Was für eine Stilgesinnung liegt da vor? Lorbeer, Haupt – das zeigt bereits einiges: die einschlägigen Raritäten, die edle Abgenutztheit, die heroische Plattitüde seit anno Kruck; daran ändert auch nichts, daß der Lorbeer diesmal freischwebend über dem Haupt angebracht ist und daß das Haupt „gestirnt“, was vermutlich meinen will: mit einer Stirn versehen – oder? Mag das schön finden, wer will, modern jedenfalls, erregend modern und einigermaßen originell formuliert ist der Titel mitnichten. Die heutigen Objekte beziehe ich aber nicht aus diesem, sondern aus dem Buch Mein Gedicht ist mein Messer, einer Anthologie, die in diesem Jahr bei Rothe herauskam und die etliche zeitgenössische Autoren mit Gedichten und Erläuterungen zu Wort kommen läßt.
„Im Labor der Träume“ heißt der essayistische Beitrag Poethens, es ist gleichfalls Titel und Leitmotiv eines Gedichtes. Da wird also auf Benn-Kurs geschwenkt. Das Wort Labor wurde von Benn in die Debatte geworfen, es zielte auf bewußte Arbeit am Wortmaterial, auf Artistik und Montage. Poethen übernimmt den Technizismus „Labor“, dagegen wäre nichts einzuwenden, außer diesem, daß damit noch keine eigene Leistung vorliegt, wir müssen also weitersehen. Noch einmal zurückgekoppelt: daß Dichtung ein ständiges Korrelieren zwischen Traumdasein und Laborgesinnung sei, wird hier keineswegs bestritten, nur erscheint eben der Passus „Labor der Träume“ dem Leslie Meier weniger frappierend als er dem Lieschen Müller vorkommen mag. „Labor der Träume“, das ist ja geradezu gängig geworden, ein Topos, der sich analog in der modernen Erörterliteratur zu häufig findet, als daß er noch aufrege, schockiere oder wer weiß was! – Was passiert weiter, da in der ersten Zeile noch nichts Weltbewegendes sich tat? Poethen hämmert „das lied der stunde“ und – zugleich sein eigenes Bild kaputt. Ein Lied hämmern? Au Backe; welch metaphorischer Hiat, welche bildliche Unmöglichkeit. Wenn Benn „an den Worten feilt“, so ist das ohne weiteres akzeptierbar, obwohl es allmählich abgeschliffene und abgegriffene Formel geworden ist, Poethen aber will modifizieren, er holt sich das nicht von ihm erfundene Grundmotiv, auf das es ihm ja zugegebenermaßen zentral ankommt und hämmert sein Lied – peng! Ist das literarisches Wagnis? Das ist der Elefant im Porzellanladen. Das ist als wenn man formulierte „eine Schwalbe kommt angeknattert“ oder, reziprok analog „leichtfüßig naht sich die Dampfwalze“ – aber mögen diese Bilder und Beispiele durch ihre irrealistische Perversion noch interessant erscheinen – „ein Lied hämmern“ das ist einfach Blech. Tinnef. Aber Sie haben ja alles nicht verstanden, wird Herr Poethen jetzt vielleicht antworten, haben Sie denn überhaupt kein Organ für die Kopplung von Gegensätzlichkeiten: Labor-Träume, Lied – hämmern, Zahlenkette – Sterne, Dom – flüchtig und am Schluß der sterbende Tod, das ist doch alles aus einem Guß, dahinter steckt doch eine ganz bestimmte künstlerische Absicht. Gut, das kann man machen, das kann einen entscheidend beschäftigen, aber wie lau ist hier alles angefaßt, wie wenig weit gespannt, wie wenig hart gefügt, wie voll sprachlicher Wackelkontakte. Da lobe ich mir Hans Arps „vierbeinige Flüssigkeiten“ oder diesen bezaubernden Satz Huelsenbecks „Ich ziehe den anatomischen Atlas aus meiner rechten Zehe / ein ernsthaftes Studium beginnt“ wenn man nicht an das schöne alte Gedicht denken will:
Ich will euch erzählen und will auch nicht lügen
Ich sah zwei gebratene Ochsen fliegen
Was aber in diesen Beispielen als interessante Konträrkopplung und groteske Absurdität vorliegt und reizt, das ist bei Poethen doch bestenfalls feierlicher Mißgriff und solenne Bastardisierung. Absolut nicht frappierend, nach keiner Richtung reizvoll, wenig intensives Herumfummeln mit modernen Möglichkeiten. „Einsame stunde der stirn“: wie getragen stelzt da einer herum, „stirbt der tod“: wie aufgewärmt pathetisch das nette Kasperlemotiv „Kinder, der Tod ist tot“. Ich will nicht sagen, daß Poethen moderne Methoden und Erfordernisse nicht rein rationell kapiert hätte, der beigefügte Aufsatz zeigt ihn in manchem vorn und up to date – wie aber stoßen dann diese Fehlformulierungen auf, die lyrischen Lapsi. Die natürlich leicht als solche zu überführen sind, wo der Text dem Bemühten überhaupt aufgeht, die an anderer Stelle aber so hochliterarisch sich drapiert haben, die andernorts so tief gelotet und so hoch gestochen sich geben, daß es von vornherein aussichtslos erscheint, hier Maß nehmen zu wollen.
Wüste
Da nun sand wächst in den krügen
sand vom lichthof des mondes
vom rand zugeschütteter sterne
nährt im erdkreis dieser oase
mit dem sandsturm der herbstgott
die vor furcht klaffenden zelte…
Wir sind an jenem Punkt angelangt, wo keine Logik, keine Bildung, auch keine ahnerische Instanz den „rand zugeschütteter sterne“ oder die „vor furcht klaffenden zelte“ einigermaßen sinnvoll unterzubringen vermag, wo keine objektive Maßgabe überhaupt sich hält, alles ins Unüberprüfbare sich entzieht und jede allgemeine Verbindlichkeit über Bord geht – dort, wo allerdings auch nicht mehr darauf zu rechnen ist, daß das Gegenüber, Publikum und Kritik reagiert, hochgeschreckt, genießerisch zergehend, belustigt und erheitert oder wie auch immer, sondern einzig mit jener Langeweile, die Unverständlichkeit erzeugt. Solch surrealistische Gedichte sind wie Neurosen: sie mögen dem Erzeuger subjektiv über alles interessant sein, dem Außenstehenden ist einfach der elementare Zugang, das direkte Mitempfinden verwehrt. „Sand vom lichthof des mondes“, ich weiß wirklich nicht, was das ist. Ich könnte mir zwar vorstellen, daß Paul Klee so etwas gemalt hätte, gut, dann würde ich das genaue Bild sehen, diese Farben und jene, diese Flecken und Formen und andere, und ich würde sagen: aha, das hat er gemeint, das, was ich hier sehe – aber die Sprache hat doch völlig andere Verbindlichkeiten! Anderen Charakter und andere Gesetze!
Poethen sagt zwar: „Die Chance des Gedichts, Zeit zu überdauern, besteht nicht in dem, was man als ,Inhalt‘ darin finden mag, also Stimmung, Ideologisches, Wissenswertes, also lauter Persönliches: das ist unverbindlich“, aber wo sind denn diese Bilder nicht persönlichst, gar verbindlich?! So etwas ist doch drauflosgeträumt, hinassoziiert, wie soll ich mich in diesem Bildermus innerlich zurechtfinden? „Sand… vom rand zugeschütteter sterne“, das ist doch ästhetisch gar nicht mehr meßbar, abzuwägen, zu taxieren – ist das gewagt, originell, schön? – wir sind in den Territorien der Unüberprüfbarkeit, wir wissen nicht mehr für was ein Bild steht, was es bedeutet – hier hat sich einer anscheinend nicht klargemacht, daß die Metapher in der Dichtung etwas völlig wesensanderes ist als ein gemaltes Bild. „Solche Formeln treffen im Leser auf das eigens dazu ausgebildete Organ. Hier werden die Extrakte aufgelöst“, kommentiert Poethen seine Bilder. Nee, so ein Organ gibt es nicht. Ich beschäftige mich seit etwa zehn Jahren recht ausgiebig mit moderner Lyrik, von solcher bilderlösenden Instanz höre ich heute zum ersten Mal. Intelligenz und Fachinstinkt, sicher, so etwas muß der Leser schon mitbringen, aber ein Organ, das Poethensche Imaginationen aufschließt, ist doch physiologisch gewiß nicht gegeben. Mag er es fordern, mag er es aus Gründen der Bedarfsweckung setzen – der „sand vom rand zugeschütteter sterne“ erscheint mir, der sich bemüht, einen Sinn zu finden, einzig und allein als jener Sand, den man heute einem gutwilligen, aber ahnungslosen Publikum vorzugsweise in die Augen streut.
Leslie Meier (das ist Peter Rühmkorf), Erstdruck Studentenkurier Nr. 7, 1956
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