Schmuckstück (I)
ob gold oder blech egal
ein l ist ein l
liebe laune laster
l wie labil labil wie logik
loyal wie die lust in lücken zu liegen
legal lorelei lotse lotterie
ein l aus lehm lyncht die luzerne
den löwen die lyrik und später den luchs
ein l wie ein lob wie lohn oder lüge
lichtung lippe lernaktiv lerche
o leuchte mein lava libero libelle
lauwarmes l lump lümmel lied
lid lid lid leben usw.
Angehalten zur Kürze, notiere ich Beobachtungen zu Lothar Walsdorfs neuem Gedichtband. Ich bekenne mich zu den perspektivischen Verkürzungen, die in den Aussagen stecken, und baue darauf, daß der Leser Sätze, die nicht schlüssig bewiesen werden, anhand eigener Lektüre überprüfen möge.
1. Walsdorfs Gedichte sind Kommunikationsangebote. Sie folgen, bewußt oder unbewußt, einer bestimmten Strategie: Sie verlocken in der Regel nicht zur schnellen Identifikation des Lesers mit einem sich selbst aussprechenden lyrischen Subjekt. Die lyrische Subjektivität Walsdorfs tritt uns eher überdeutlich als das „Andere“, das Nicht-Eigene gegenüber. Die Erfahrungen des Autors sind nicht jedermanns Erfahrungen. (Exemplarisch und als Schlüssel zum Verständnis seiner Poetik waren für mich das von Gregor Edelmann aufgezeichnete Gesprächsprotokoll und Walsdorfs Text „Monologe I“ in Temperamente, Heft 1/1988.)
Insofern sieht er seine poetische Aufgabe nicht darin, Gewöhnliches zu Außergewöhnlichem lyrisch zu stilisieren, sondern umgekehrt das Außergewöhnliche allgemeingültig, kommensurabel zu machen.
2. Walsdorfs lyrisches Ich verwandelt sich, nimmt oft archetypische Gestalt an, streift das Mythische („Ich bin der Ur-sprung. / Ich war vor dem Urei schon da. / Aus mir wurden Menschen aller Farben und Sorten / und Männer und Frauen gleichermaßen und in großer Zahl. / Die einen wurden gut, die anderen böse, die nächsten dumm…“ – „Altes Selbstporträt“), wechselt vom Zentrum des Geschehens an die Peripherie oder setzt sich ins Verhältnis zu anderen Gestalten („Antiapoll“, „Dorisches“, „Dezember – Mein Epos“) – niemals aber beobachtet es objektivistisch, unbetroffen. Damit sprengt der Dichter die Riegel des nur individuellen Erlebens, erreicht jenen Grad von Allgemeinheit, der sich dennoch die Anmaßung der Alleingültigkeit versagt.
3. Wesentliche Motivbereiche geben diesem Band Profil, Motive, die schon den Charakter der vorangegangenen Bände mitbestimmten. Immer wieder in Frage steht die Herkunft – „aus den wäldern heimgekehrt“ sieht der Autor sich („Oktober“) und fragt: „woher sind wir alle gekommen / wohin wollen wir alle gehen“ („Zauber-Spruch“). „ich bin durch die wälder geströmt / urmeere wohnten in mir“, erklärt er („Die Stille“, „der grüne weite Vogel Leben“) und „immer bin ich unterwegs und komm nirgends an“ („Erntelied/Herbstlied“). Natur und unmittelbare Lebensumwelt sind stark präsent in Walsdorfs Gedichten; mit ihrer unvermittelten Anwesenheit sind sie zugleich aber Spielräume seiner poetischen Reflexion. Und dies heute spürbarer als früher.
Ein weiterer Motivbereich. Erinnerung – „weißt du noch weißt du noch die städte / die stätte die ruinen meiner kindheit / hiroshima dresden sprach ich zu dir / sprachst du zu mir“ („Ort“); „fische schwimmen zurück / im schneematsch treibt der februar / guten tag mutter / jetzt bist du da“. („Die sechzig Jahr“); „Musik ist Vergangenheit. / Musik führt zurück.“ („Vierundzwanzig Stunden und länger“). Weitere Belege ließen sich unschwer anführen.
Andere wiederkehrende Motive sind: Traum, Märchen, Kindheit, Selbstporträt, Ankunft, Abschied, Stadt – zuweilen zusammengeführt in einem einzigen Text – und immer wieder „Kalenderblätter“, darunter ein Text von so großem Gewicht wie „Letzte Kalenderblätter“, der Mythologie und Alltagserfahrung zusammenführt.
4. Die unterschiedlichen Motivbereiche fließen zusammen. Erinnerung zum Beispiel ist nicht ziellos, sondern Selbstvergewisserung und Bestätigung des eigenen Herkommens, letztlich der eigenen Existenz. Das Gedicht „Die sechzig Jahr“ gibt davon beredt Zeugnis.
Andererseits münden beispielsweise die Motivbereiche Herkunft und Erinnerung folgerichtig in die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, in die Bestimmung des Standorts. Die Suche ist dabei nicht abgeschlossen, der Standort nicht, statisch fixiert. „Ortsangabe“ spricht von Beharrung und führt sie an einem Ort mit dynamischer Bewegung (durch das unmittelbare Aneinanderstoßen der Worte) in scharfen Konflikt:
gefesselte stadt
stadt an den triften
ich bleibe
ich bleibe stehe hier: HIER!
ich renne schreie hier, hier
ich bleibe stehe renne
schreie hier – hier…
o mond hast zwei hälften
du auch
TRIFTEN HIER.
5. Das Gedicht „Ankunft“, aus dem die Titelzeile des Gedichtbandes gewonnen ist (und das, fast unverändert, aus dem Band Im gläsernen Licht der Frühe übernommen wurde), dynamisiert die Ankunft des Individuums durch die Transformation des Ankommens ins Gattungsmäßige, Menschheitsgeschichtliche:
tausend menschenjahre wohnen in mir
tausend gute explosive monate
tausend zerbrochene spiegel
alle sieben mal pech…
über berge kam ich
naß und weiß wie ein schimmel
blutrot wie ein abendmond
flach an den himmel gepreßt.
6. „Afrika/Berlin“, ein Gedicht mit großem Atem, in weiten Schwüngen anaphorisch ausholend, erzählt eine Geschichte von Liebe, Sehnsucht, Begierde, und zugleich berührt es die Epoche und einen Menschheitskonflikt.
ich bin der zur maske erstarrte kontinent
ich bin die in stein gehaune unerfüllte hoffnung
ich bin der traum
ich bin die illusion…
Überzeugend gelingt es Walsdorf, diesen scheinbaren Abstrakta Leben einzuhauchen, sie mit Bedeutungen aufzuladen, sie mit Attributen zu versehen, deren jedes ein ganzes Netz von Assoziationen knüpft.
trifft einer eine mit wallehaar
da drin verwohnen
zwischen schall und rauch
zwischen rauch und schall
trifft einer eine
am brunnen vor dem tore
am glastunnel zur s-bahn
wie schön sternt ihr silberner huf
wenn sie drei schritte geht.
Die Nähe zu Celans „Todesfuge“, sowohl in Einzelheiten der Motivwahl als auch im – gleichsam musikalischen – Kompositionsprinzip, ist auffällig wie das inhaltliche Anliegen als Gegenentwurf.
7. Walsdorfs Sprache ist suggestiv, die Anapher eines seiner Lieblingsinstrumente, um einen beschwörenden Gestus zu erreichen. Oft werden Bilder und Metaphern innerhalb eines Textes variiert und in jeweils neuen inhaltlichen Zusammenhängen montiert – vergleichbar der musikalischen Motivpermutation (exemplarisch in „Sommer“, „Monolog“, „Komm“). „Fremdes“ ist einmontiert. Erlkönig-Material in „Reigen“ oder Nibelungen-Material in „Dezember – Mein Epos“. Der Umgang mit Volksliedhaftem (z.B. in „Abend“) läßt Adornos Prägung vom „absichtsvoll falschen Volkslied“ anwendbar erscheinen. Sogar Sprachspielerei kann sich mutwillig austoben („Die Verlobung“, „Annäherung“, „Schmuckstück I/II“, „Sehnsucht“).
8. Walsdorf muß ein Mann sein, der seinen Platz im Leben nur schreibend behaupten kann, vermeint man beim Lesen seiner Gedichte zu spüren. Leben und Schreiben fallen in eins, Reflexion steht nicht jenseits gelebter Erfahrung. „Hier erzählt einer, der sich selbst am besten kennt, von ihm Bekanntem. Wozu auch gehören: Tag, Nacht, Frühling und die anderen Jahreszeiten, Regen, Sturm, Katzen, Hunde, Blumen, Häuser.“ Was Günther Drommer dem ersten Band (Der Wind ist auch ein Haus, 1981) zu Geleit sprach, galt für den Band Im gläsernen Licht der Frühe (1983) und gilt im Grunde noch jetzt. Aber Walsdorfs Gedichte greifen wohl viel weiter aus. Sein Kommunikationsangebot ist „soziale Selbstverständigung über die Sinnbestimmung des Menschenlebens in den… historischen Ordnungen dieses Lebens selbst“ (Michael Franz).
Thomas Wieke, neue deutsche literatur, Heft 433, Januar 1989
„man sieht mir die katze an“ Lothar Walsdorf zum 70. Lesung, Präsentation mit Inés Burdow und Robert Mießner am 6.10.2021 im Literaturforum im Brecht-Haus
LOTHAR WALSDORF
Geheime Reime
Die Märchen kommen des Nachts an mein Bett
Ich finde die Märchen sind wie Frauen so nett
Sie wuseln in meinem Denkräumchen Juju
Und drücken zum Schlaf mir die Äugelein zu
Den pfiffige Gretel zum Bäcker ich schick
Die Goldmarie krault mirs krampfe Genick
Die tapfere Schneiderin – tja also das Aas –
das schnippelt so freundlich mir jedes Versmaß
Die Mutter vom Rotkäppchen lieb ich in Konsequenz
Und auch die Blumen mag ich wegen all ihrer Fans
Nur die abführenden Wege haß ich wie Mercedes Benz
Peter Wawerzinek
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