– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Die Maske des Bösen“ aus Bertolt Brecht: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. –
BERTOLT BRECHT
Die Maske des Bösen
An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk
Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack.
Mitfühlend sehe ich
Die geschwollenen Stirnadern, andeutend
Wie anstrengend es ist, böse zu ein.
„Schwer ist es, gut zu sein“, heißt es bei Plato, der mit unermüdlichem Eifer den Menschen mahnt, sich der anstrengenden Schau der Ideen zu widmen, im Vollkommenen das Gute zu erkennen. Doch was ist das Vollkommene, was ist das Gute? Was ist, im Gegensatz dazu, das Unvollkommene, folglich das Böse? Nur im dialogischen Widerstreit von These und Antithese sei die Erkenntnis dessen zu gewinnen, lehrt der Philosoph, und so kam es durch fortwährendes Umwerfen, Umkehren, Umwenden des Erkannten – das man die dialektische Methode nennt – zu immer neuen, immer anderen Urteilen.
Im wortwörtlichen Sinn das Perverse an der Dialektik ist ihre verruchte Spitzfindigkeit, mit deren Hilfe man jedes Ding drehen, auf den Kopf stellen, ihm seine natürliche Unschuld nehmen und es ins Gegenteil verkehren kann. Bertolt Brecht, der geschickte Dialektiker, in der Kunst erprobt, mit dem Kniff des konträr gedeuteten Wortsinns das Vertraute fremd zu machen, suggeriert uns in seinem Gedicht „Die Maske des Bösen“ die verblüffende Einsicht, nicht gut, sondern böse zu sein bedürfe der Anstrengung. Zwar schickt er den bösen Dämon vor, uns seine Behauptung einzureden, doch er selbst stellt sich ihm zur Seite, fühlt mit ihm, denkt mit ihm, handelt schließlich mit ihm, indem er den Eindruck erweckt, höchstselbst als Bösewicht aufzutreten, mit dem Kunstgriff der Dialektik anerkannte Lebenserfahrungen in Frage zu stellen.
Doch bei näherem Betrachten fällt in diesem dialektischen Ineinandertauschen von Gut und Böse wie ja auch beim Wechselspiel von Erinnern und Vergessen die naturbedingte Stärke, die Urkraft des Bösen und des Vergessens auf. Muß nicht die Forderung, Gutes zu tun, dringlicher erhoben werden als die Anweisung, das Böse zu unterlassen, wie ja auch dem Erinnerungsgebot kein Vergessensbefehl entgegengestellt zu werden braucht? Am Guten hält man sich erst fest, wenn man das Böse unterläßt, ist ebenso plausibel wie: Erinnert werden kann nur, was auch vergeßbar ist. Oder ist diese aus der Lebenserfahrung gewonnene Einsicht im dialektischen Gedankenspiel umkehrbar, damit der positive Wert, unterstzuoberst als negativ erscheinend, überprüft werden kann?
So betrachtet, ist Brechts Gedicht ein geheimer Appell, der zur Anstrengung herausfordert, sich vehement gegen das Böse zu stellen. Dafür mußte die Dialektik herhalten, die sich am Ende ihrer wortwörtlichen Perversität wegen als das einzig Böse herausstellt: ein jesuitischer Winkelzug, in dem der Zweck die Mittel heiligt.
Sogar Pestalozzi, der brave Pädagoge und Sozialreformer, von dem man es am allerwenigsten erwartet hätte, entpuppt sich als versierter Dialektiker. Er geht, seine Einschätzung von gut und böse so eindringlich und überraschend wie möglich zu formulieren, so weit, daß er sie, mit ihrem Sinn spielend, in eins setzt.
In seinem Erziehungsroman Lienhard und Gertrud legt er uns dringend nahe:
Um so gut zu sein wie menschenmöglich, muß man bös’ erscheinen.
Ludwig Harig, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiundzwanzigster Band, Insel Verlag, 1999
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