ABRAHAM A SANCTA CLARA
Der Mensch ist ein Schaum
Der Mensch ist ein Schaum, der bald abfließt,
Eine Blum, die bald absprießt.
Der Mensch ist ein Fluß, der bald abrinnt,
Eine Kerzen, die bald abbrinnt.
Der Mensch ist ein Glas, das bald zerbricht,
Ein Traum, der haltet nicht.
Der Mensch ist bald hübsch und rot,
Auch bald darauf bleich und tot.
Der Mensch ist ein kurzer Lautenklang,
Aber auch bald ein Sterbegesang.
Der Mensch ist alles Unglücks Spiel
Und aller Not gemeinsam Ziel.
nach 1680
Mit seinen wortgewaltigen Moralpredigten und theologischen Brandreden kann der Augustinerpater und spätere kaiserliche Hofprediger Abraham a Sancta Clara (1644–1709), als brillantester Rhetoriker und Sprachschöpfer der Barockzeitgelten. Sein Lebensthema war die Vergänglichkeit, die Omnipräsenz des Todes in einer von menschlichen „Grausambkeiten“ heimgesuchten Welt. Die Schrecken des Massentodes beschrieb er bereits in seinem Meisterwerk Mercks Wienn (1680), einer Abhandlung über die „laidige Sucht“ der Pestepidemie in Wien.
In seine moraltheologischen Belehrungen streute er immer wieder Gedichte ein, die in großer Sprachlust die Stilebenen mischten: der volkstümlich-derbe Ton, die drastische Metapher stehen neben rigiden moraltheologischen Sentenzen. So ist auch das nach 1680 entstandene Poem über den Menschen ein einziges memento mori: Jenseits der Vergänglichkeit und der an das „Unglücks Spiel“ gebundenen Existenz gibt es keinen Lebenssinn.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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