ACHIM VON ARMIN
Der Welt Herr
Morgenstund hat Gold im Munde,
Denn da kommt die Börsenzeit
Und mit ihr die süße Kunde,
Die des Kaufmanns Herz erfreut:
Was er abends spekulieret,
Hat den Kurs heut regulieret.
Eilens ziehen die Kuriere
Mit dem kleinen Kursbericht
Daß er diese Welt regiere,
Von der andern weiß ich’s nicht:
Zitternd sehn ihn Potentaten,
Und es bricht das Herz der Staaten
Um 1825
Es spricht für den visionären Weitblick der Gattung Lyrik, dass das erste Gedicht über den modernen Finanzkapitalismus und die globale Macht der Börse bereits um 1825 entstanden ist: Achim von Arnim (1781–1831), der mit seinem romantischen Weggefährten Clemens Brentano die berühmte Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1806ff.) zusammenstellte, hat es geschrieben.
Als „Der Welt Herr“, der die politischen Geschicke lenkt, erscheint in diesem Gedicht ein offenbar kapitalstarker Kaufmann, dessen abendliche Spekulation am nächsten Morgen den Kurs „regulieret“. In ebenso einfachen wie prägnanten Reimen kommentiert Arnim das Börsengeschäft satirisch – und läßt offen, ob die Macht seines Spekulanten bis in den Himmel reicht. Eine fast frühmarxistische Sicht auf die Verhältnisse: Denn die Politik wird hier eindeutig der Ökonomie nachgeordnet.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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