AGLAJA VETERANYI
Warum ich kein Engel bin
Ein Engel verkleidete sich als Engel und blieb unerkannt.
Ein anderer fiel vom Himmel und zerschellte.
Ein ausländischer Engel wurde gläubig und ertränkte sich in der Badewanne.
Im Himmel werden tote Engel ausgestopft und an die Wand gehängt.
Ich bleibe lieber unsterblich.
um 2000
aus: 112 einseitige Geschichten. Hrsg. von Franz Hohler. Luchterhand Literaturverlag, München 2007
Als Tochter von Zirkusleuten in Bukarest geboren, musste die Dichterin Aglaja Veteranyi (1962–2002) ihre Sprache buchstäblich erst finden. Durch die berufsbedingten Ortswechsel ihrer Familie konnte sie keine feste Schule besuchen und lernte autodidaktisch die deutsche Sprache schreiben, als ihre Familie schließlich in der Schweiz sesshaft wurde. Dort lebte sie seit 1982 als Schauspielerin und freie Schriftstellerin. 2002 wählte sie in Zürich den Freitod.
Durch seine Skizzenhaftigkeit erzeugt der Text einen weiten Resonanzraum, der es möglich macht, die Leerstellen zwischen den Zeilen zu füllen. Die Meditation über das Selbstverständnis einer Person, die in der Erzählung verschiedene Engel auftreten lässt, scheint hier ihren paradoxen Stillstand zu finden: Der rührende kindliche Wunsch nie zu sterben, kann aber nur in dem paradoxen Zwischenstadium bestehen, die Realität verheißt etwas anderes.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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