Albrecht Goes’ Gedicht „Lautespielender Engel“

ALBRECHT GOES

Lautespielender Engel

Stimme des Engels:

Sprich mich nicht an! Ich kann dir nichts erwidern.
Ich höre nur der Laute Lobgesang.
Ich hab ein Amt, begreif: den heilgen Liedern
Zu dienen, Klang bei Klang.

Doch fürchte nichts! Denn über allen Worten
Und allem, was geschieht und je geschah
Klingt dieser Ton, und tönt an allen Orten.
Wags und stimm ein, und du bist ganz mir nah.

um 1945

aus: Albrecht Goes: Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2008

 

Konnotation

Wie sein großer Vorläufer Eduard Mörike (1804–1875) versuchte der schwäbische Dichterpfarrer Albrecht Goes (1908-2000) von seinen vielfältigen Amtspflichten loszukommen, um Zeit für seine schöpfungsfromme Poesie zu gewinnen. Anders als bei Mörike ruht bei Goes die Weltbetrachtung in einer unerschütterbaren Glaubenszuversicht. So scheint auch die Darstellung des geflügelten Kuriere Gottes, der Engel, von christlich-idealisierender Überhöhung geprägt.
Der Laute spielende Engel widmet sich mit ganzer Kraft seiner Aufgabe: der Lobpreisung Gottes, der dienenden Wiedererweckung der „heiligen Lieder“ im Gesang und im Lautenspiel. Alle Daseinsfurcht – verkündet dieser Engel – löst sich auf in diesem überwältigenden Ton, der nah dem Heiligen angesiedelt ist. Aber im ersten Vers des um 1945 entstandenen Gedichts lauert eine Crux. Denn der Engel wehrt jede Art von Frage oder Zuruf ab: Er ist so sehr seinem devoten Geschäft verpflichtet, dass er unansprechbar geworden ist.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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