ALEXANDER XAVER GWERDER
Ohne Worte
Dies ist die letzte Stunde. Oh, Glück!
Ich kann nicht erzählen wie es ist,
mir fehlen endlich die Worte. Sag du’s…
,Ich bin im Wald, muss nie mehr zurück
und spüre, wie mich die Welt vergisst –
Aber Worte-? – Ich seh nur noch Kronen –‘
Ja – wir werden an den Quellen wohnen.
1952
aus: Alexander Xaver Gwerder: Gesammelte Werke. Bd. 1: Lyrik. Limmat Verlag, Zürich 1998
Der Schweizer Dichter Alexander Xaver Gwerder (1923–1952) gehörte zur Gilde der tragischen Dichter, denen im Sinne Heinrich von Kleists „auf Erden nicht zu helfen war“. Seine Gedichte sind melancholisch verdunkelte Vorahnungen einer grundsätzlichen Weltverlorenheit, inspiriert durch die elegischen Abschiedgesänge Gottfried Benns. „Ich spüre irgendwelche Wendungen sich vorbereiten“, notierte Gwerder ahnungsvoll im März 1952, „und bin bemüht, den Faden der Parze durch diverse Messer zu führen.“
Das Gedicht entstand in den letzten beiden Lebensmonaten Gwerders, als sich der Dichter „in Helvetien abgesägt“ fühlte und sich mit allen Freunden und Förderern überworfen hatte. Die poetische Antizipation der „letzten Stunde“ führt das Ich hier in einen trancehaften Zustand, da die Wahrnehmung der Welt „ohne Worte“ auskommt, die Grenzen zwischen den Dingen fließend werden und das entrückte Subjekt in das sanfte Kraftfeld des Todes hinübergleitet. Das „Glück“ erweist sich als Todessehnsucht und wird imaginiert als Einkehr bei den „Quellen“. Im Juli 1952 nimmt sich Gwerder in Südfrankreich das Leben; seine Geliebte überlebt den geplanten Doppel-Suizid.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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