ALEXANDER XAVER GWERDER
Wenn es nicht Morgen würde
Ich denke oft, wenn es nicht Morgen würde
und diese Nacht vorhielte bis ans End –,
ich nähm sie gern in Kauf, samt Niggerband
und schwarzer Ladies Eckensteherwürde.
Ich tät mir Wald erfinden, recht viel Wald,
und ging darin herum die ganze Nacht –
Ich würd ein Rehlein suchen sacht, ganz sacht…
Ihr lacht – aber das mit dem Wald – wird bald.
Und wenn ich’s dann gefunden hätt im Dickicht,
würd ich es küssen hinter all den Stämmen –
Und winters würd ich Stück für Stück den Wald verbrennen.
Du weintest und ich wischte Tränen – nicht?
vor 1952
aus: Alexander Xaver Gwerder: Gesammelte Werke. Bd. 1, Lyrik. Limmat Verlag, Zürich 1998
Was sind die Realien des Tages, vor dem sich das Subjekt fürchtet in diesem Gedicht des Dichters Alexander Xaver Gwerder (1923–1952). Zunächst scheint der Text in der Nähe zur Romantik die Nacht zum heilversprechenden Ort zu machen, der das Subjekt der Mühen des Tages enthebt. Doch der Widerspruch zwischen der von ihm erhofften und der in ein Nachtcafé verlagerten Nacht in realiter, ist dem Wünschenden bewusst. Schließlich erklärt das Gedicht, dass der Mensch in seinem Traumwald nicht bleiben würde, wenn er dazu die Gelegenheit hätte. Stattdessen würde das Menschsein wieder eingesetzt und der Wald als Brennstoff verheizt. Doch so wird die Wunschphantasie, sich dem Zeitalter nach Ende des zweiten Weltkriegs zu entziehen, wieder unterdrückt.
Sein Leben lang blieb für Gwerder, der als Offset-Kopist seinen Unterhalt bestreiten musste, der Ruhm unverdientermaßen aus. Zwar waren bereits drei schmale Gedichtbändchen erschienen und nach seinem Selbstmord sollten einige weitere Büchlein folgen. Doch erst 1998 erschien im Züricher Limmat-Verlag eine vielbesprochene dreibändige Gesamtausgabe seiner Werke.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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