ALFRED ANDERSCH
An die Deutschen
noch in den rauchenden
ebenen
unseres ausgelöschten landes
werden die letzten von uns
blind tappen
die worte
aaaaawehr wehr
aaaaamacht pflicht
zungenlos
lallend
wollen wir uns
eh es zu spät ist
ein neues wort
einfallen lassen
irgendeins
1977
aus: Alfred Andersch: Gesammelte Werke, Diogenes Verlag, Zürich 2004
Der Schriftsteller Alfred Andersch (1914–1980) war eine Schlüsselfigur im literarischen Leben Nachkriegsdeutschlands: Als Iniator legendärer Zeitschriften, als tonangebender Diskutant in der Gruppe 47 und als Verfasser zeitkritischer Romane (z.B. Die Kirschen der Freiheit von 1952) prägte er die literarischen Debatten in der jungen Bundesrepublik. Als Lyriker erregte Andersch Anstoß mit seinen scharfen Anklagen der deutschen Verhältnisse.
In seinem Gedicht „Artikel 3(3)“ hatte Andersch 1976 die Praxis der Berufsverbote in einen assoziativen Zusammenhang gestellt mit dem Einsatz von Gas in den Vernichtungslagern der Nazis. Seine lyrische Mahnung an die Deutschen, in den 1970er Jahren entstanden, zieht ebenso gewagte Parallelen von der Wehrpflicht der demokratischen Bundesrepublik zur Armee Adolf Hitlers.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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