Andreas Gryphius’ Gedicht „Betrachtung der Zeit“

ANDREAS GRYPHIUS

Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;
Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen;
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht,
So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.

um 1640

 

Konnotation

Die Epigramme des Barockpoeten Andreas Gryphius (1616–1664) erschienen in einer ersten Ausgabe 1643 unter dem auf Erweiterung angelegten Titel Andreae Gryphii Epigrammata. Das erste Buch. Das prägnante Denkbild über die Zeit bedient sich des klassischen Alexandriners, dessen sechshebige Jamben jeweils in der Mitte des Verses eine Zäsur enthalten. Das Bewusstsein der Vergänglichkeit trifft hier auf den Wunsch nach einer erfüllten Zeit.
Wenn der Augenblick bewusst gelebt und damit angeeignet werden kann, dann gibt das der irdischen Existenz auch einen neuen Sinn. Der mit Leben erfüllte Augenblick verlängert nicht nur das Dasein, sondern ist auch Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zum göttlichen Heilsplan. Man ist verbunden mit dem Schöpfer von „Jahr und Ewigkeit“, wenn man die Zeit zu nutzen weiß.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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