Andreas Thalmayers Gedicht „Ein Mann wie der“

ANDREAS THALMAYR

Ein Mann wie der

Ein Mann wie der läßt sich                 nicht in die Falle locken.
Im Notfall war er stets                         beizeiten auf den Socken,
Hat nie den Hals riskiert                     und nie die dürren Knochen.
Doch seinen harten Kopf,                   den hat er sich zerbrochen.
Er rauchte viel zu viel.                         Er grübelte. Er stand
Verbissen, unscheinbar                       und grau am Straßenrand.

um 1980

aus: Das Wasserzeichen der Poesie oder die Kunst und das Vergnügen, Gedichte zu lesen. Vorgestellt von Andreas Thalmayr. Greno Verlagsgesellschaft, Nördlingen 1985

 

Konnotation

Als im Sommer 1985 ein gewisser Andreas Thalmayr mit einem wunderlichen Lehrbuch über „Die Kunst und das Vergnügen, Gedichte zu lesen“, vor die literarische Öffentlichkeit trat, dauerte es nicht lange, bis die pseudonyme Autorenschaft des 1929 geborenen Poeta doctus Hans Magnus Enzensberger ruchbar wurde. Enzensberqer präsentierte in lockerer Form 164 „Spielarten“ der Poesie, wobei er die Versmaße mit einigen Muster-Gedichten illustrierte.
Die Kunst des Alexandriners exerzierte Enzensberger an einem Porträt-Gedicht, in dem er eine seiner Lieblingsfiguren vorstellte: einen männlichen Repräsentanten der „Normalität“, der „nie den Hals riskiert“, sondern sich aufs fortdauernde Grübeln verlegt. Alle formalen Gesetze des Alexandriners sind hier erfüllt: sechs jambische Verse mit sechs Hebungen, zwölf Silben bei männlichem Versausgang oder dreizehn Silben bei weiblichem. Nach der dritten Hebung erfolgt jeweils eine Zäsur.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00