ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF
An meine Mutter
So gern hätt’ ich ein schönes Lied gemacht,
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für Andre immer wacht,
Hätt’ ich so gern geweckt zu deinem Preise.
Doch wie ich auch gesonnen, mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten rollten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.
So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
Vom einfach ungeschmückten Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meisten fühlt weiß man nicht viel zu sagen.
um 1820
Die Vorstellung, als Frau eine schriftstellerische Laufbahn einzuschlagen, lag Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) lange Zeit fern. In ihrer Zeit und ihren Kreisen galt das Schreiben nicht als Beruf sondern als Berufung, und als Männersache. Und so sahen die Angehörigen von Droste-Hülshoff ihre Gedichte zunächst lediglich als hübsche Zierde, die das häusliche und gesellige Leben der gebildeten adeligen Familie schmückte. Erst im Freundeskreis wurde der Droste zur Veröffentlichung geraten. Dabei hätte sie, die heute als bedeutendste Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts gilt, niemals gegen den Willen ihrer verehrten Mutter publiziert.
Mehrfach schreibt Annette an die Mutter, so auch im Zyklus „Denkblätter“. Die schlichten Kreuzreime führen keine selbstbewusste, souveräne Autorin vor. Die Dichterin spricht sozusagen von unten, aus der Position des Kindes. Das Gefühl der Liebe ist zu groß, um es in Worte zu fassen, und so nimmt sich das Ich in der letzten Zeile selbst zurück bis ins verallgemeinernde „man“.
Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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