ARNO HOLZ
Letztschöpferische Erkenntnis
Horche nicht hinter die Dinge.
Zergrüble dich nicht.
Suche nicht nach dir
selbst.
Du bist nicht!
Du bist der blaue, verschwebende Rauch, der sich aus
deiner Zigarette ringelt,
der Tropfen, der eben aufs Fensterblech fiel,
das leise, knisternde Lied, das durch die Stille deiner
Lampe singt.
1898/99
Nicht jede „Revolution der Lyrik“, die ein versierter Dichter propagiert, bringt wirklich einen Umsturz der alten überlebten Ordnung. Die von dem Naturalisten Arno Holz (1863–1929) propagierte „Revolution“ zielte 1899 zunächst auf die Abkehr von Reim und Metrum und formal auf die Erfindung einer imaginären Mittelachse des Gedichts. Zur Dynamisierung seiner freirhythmischen Gedichte in der Sammlung Phantasus (1898/99) war diese formale Neuerung hilfreich – aber sie blieb eine lyrische Einzelaktion, die in der Literatur seiner Zeit keine Nachahmer fand.
Sinnliche Alltäglichkeit wollte Holz in seiner Poesie einfangen. Tatsächlich versuchte er in weit ausschwingenden Gedichten zahllose Details aus der alltäglichen Lebenswelt in seinen Texten aufzuhäufen – auch Preis einer gewissen Banalisierung des Stoffs. Das lyrische Ich scheint mitunter – wie in der „Letztschöpferischen Erkenntnis“ aus dem Phantasus-Band – hinter den Dingen zu verschwinden.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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