Barbara Köhlers Gedicht „Rondeau Allemagne“

BARBARA KÖHLER

Rondeau Allemagne

Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd,
Mit einer Liebe, die mich über Grenzen treibt,
Zwischen den Himmeln. Sehe jeder, wo er bleibt;
Ich harre aus im Land und geh ihm fremd.

Mit einer Liebe, die mich über Grenzen treibt,
Will ich die Übereinkünfte verletzen
Und lachen, reiß ich mir das Herz in Fetzen
Mit jener Liebe, die mich über Grenzen treibt.

Zwischen den Himmeln sehe jeder, wo er bleibt:
Ein blutig Lappen wird gehißt, das Luftschiff fällt.
Kein Land in Sicht; vielleicht ein Seil, das hält
Zwischen den Himmeln. Sehe jeder, wo er bleibt.

1989/90

aus: Barbara Köhler: Deutsches Roulette, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1991

 

Konnotation

Manchmal beginnt ein Gedicht mit der Aufkündigung der alten Ordnung und der lyrischen Absage an die überkommene Gesellschafts- und Sprach-Struktur. Das Lebensgefühl einer skeptischen und haltlos gewordenen Generation in der Spätzeit der DDR formuliert etwa ein Gedicht im lyrischen Debütbuch der 1959 in Chemnitz geborenen Barbara Köhler.
Es geht um das Gefühl der Ent-Heimatung und des Landlos-Werdens, das in der Endphase des SED-Staats viele jüngere DDR-Dichter befiel. In der strengen Struktur des Rondos wird dieser Entfremdungsprozess durchgespielt. Da das Land ihr keine Heimat bot, beschäftigte sich Barbara Köhler in der Folgezeit immer intensiver mit dem letzten Refugium: der deutschen Sprache. Auch dort stieß sie auf Zwangsverhältnisse: „Ich rede mit der Sprache“, hieß es im Auftaktgedicht ihres Bandes Blue Box (1995), „manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders.“

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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