Barbara Köhlers Gedicht „Synchronisation A“

BARBARA KÖHLER

Synchronisation A

Was wir nicht sehen sehen wir
nicht die Stimme die Sätze in
den Mund legt & sich in einer
anderen Sprache bewegt die im
Off gesprochen wird ist unser
Schweigen eine Frage oder die
Antwort die Rede geht von uns
hinterläßt mundtote Körper im
schalltoten Raum ihre Schreie
schreiben sie Anderen auf den Leib

um 1995

aus: Barbara Köhler: Blue Box. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1995

 

Konnotation

Das Schreiben in der Tradition der klassischen Moderne bricht mit der Vorstellung eines selbstgewissen Subjekts, das „Herr seiner selbst“ und „Herr im Hause“ ist. Gleichzeitig wird das Konzept von Sprache als Repräsentantin eines sicheren, zweifelsfreien Sinnes vom Sockel gestürzt. Barbara Köhler wurde 1959 im sächsischen Burgstädt geboren; ihre Gedichte thematisieren häufig die Stellung des Ich im sprachlichen Feld. Auf artifizielle Weise konkretisieren und diskutieren sie sprachphilosophische Positionen.
Das Gedicht „Synchronisation A“ ist ein komplexes Gebilde, das nachvollzieht, was bei diesem kunstvollen und doch leicht unheimlichen, gewalttätigen Vorgang des Stimmenwechsels geschieht, was entsteht und was verlorengeht. Die ineinanderlaufenden, miteinander verhakten Teile und die fehlenden Satzzeichen bewirken auf der Mikroebene eine dauernde Positions- und Perspektivenverschiebung. Auf der Makroebene fragt das Gedicht nach der Verbindung von Sprache und Körper.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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