BARBARA MARIA KLOOS
trunken
wie alles erzittert
wenn plötzlich die
braufrischen fässer
in den keller rollen
fällt meine träumende
stirn auf die tasten
bis ganz von selbst
die ersten pfützen
übern bildschirm
wachsen buchstaben
goldgelb & flimmernd
die freß ich wie bier
nach 1985
aus: Barbara Maria Kloos: Venussonde. Lyrikedition 2000, München 2005
Ein leichter Rausch ist mitunter der Idealzustand des Poeten – nicht der alkoholgestützte, sondern der durch den leidenschaftlichen Schreibprozess und die abenteuerliche Kombinatorik der Wörter induzierte. Dichtung als dionysische Rauschkunst – das ist seit Nietzsches Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik (1872) ein Topos der modernen Lyrik. Die metaphorische Verknüpfung der durch Rauschmittel und durch das Schreiben erzeugten Trunkenheiten gelingt hier der Dichterin Barbara Maria Kloos (geb. 1958).
Schließlich sind es die Lettern selbst, die ganz unabhängig vom rauschbereiten Dichter bzw. der Dichterin zu wuchern beginnen und einen Text erzeugen. Das schreibende Ich gerät in den Sog der verflüssigten Wörter – und versucht sie zu verschlingen. Kloos benutzt hier ein paradoxes Bild: Etwas Fluides, Flimmerndes wird „gefressen“. Das Subjekt wird gleichzeitig Produzent und Opfer des Rauschs.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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