Bertolt Brechts Gedicht „An R.“

BERTOLT BRECHT

An R.

Geh ich zeitig in die Leere
Komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre
Weiß ich wieder, was ich soll.

Wenn ich liebe, wenn ich fühle
Ist es eben auch Verschleiß
Aber dann, in der Kühle
Werd ich wieder heiß.

1950

aus: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 15: Gedichte 5. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1993

 

Konnotation

Zu den bis zum Selbstverlust aufopferungsbereiten Geliebten Bertolt Brechts (1898–1956) gehörte die dänische Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin Ruth Berlau (1906–1974), die ab 1935 den „vielsagenden Augen“ des Dichters verfallen war. Im Februar 1950 verfasste Berlau das Gedicht „Die Kälte“, das von ständigen Trennungen und zunehmender Freudlosigkeit der Liebe handelt und auf den Egoismus Brechts zielte. Brecht reagierte im März 1950 mit seiner lakonischen Miniatur über die emotionale Disposition seines Alter Ego.
Brecht dürfte diesen Achtzeiler als dialektische Pointe verstanden haben: Nur ein zeitweiliger Rückzug in die Distanz und in die „Kühle“ der Abwesenheit ermöglicht – so die Logik des lyrischen Subjekts – die Erneuerung der Liebe. Die zweite Strophe lässt auch eine direkt-sexuelle Lesart zu: Der da eben noch den „Verschleiß“ seiner Leidenschaft vermerkt hat, entdeckt nach einer gewissen Zeit des Aufenthalts in der „Leere“ und der „Kühle“ das „heiße“ Begehren wieder.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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