BETTINA VON ARNIM
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist’s, worin sich hier der Sinn gefällt?
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,
Nicht ist’s, was mir den Blick gefesselt hält.
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Und könnt ich Paradiese überschauen,
Ich sehne mich zurück nach jenen Auen
Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt,
Denn der allein umgrenzet meine Welt.
1835
In seinem Tagebuch kommentierte der alte Goethe 1810 seine erste Begegnung mit der ihn anbetenden Bettina von Arnim (1785–1859) sehr spöttisch: „Der angesehene Dichter, Autor des Werther, zog den Frieden seines trauten Heims dem aktiven Rausch der Leidenschaft (delires actives de la passion) vor“. Ob aus der romantischen Passion bei dieser ersten Begegnung nicht doch eine erotische wurde, ist umstritten. In ihrem Briefwerk Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835) hat Bettina von Arnim später diese ungewöhnliche Liebe in romantischer Manier stilisiert.
Den dritten Teil des Briefwechsels mit Goethe, das Buch der Liebe, hat Bettina als poetisches Tagebuch angelegt, in das an einer Stelle ein Gedicht eingefügt ist. Dieses Gedicht beschwört Goethes Garten in Weimar und das darin befindliche weiße Gartenhaus als eine Art Weltmittelpunkt – Ort eines Paradieses und Zentrum aller Sehnsucht.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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