BJÖRN KUHLIGK
Aus dem Unterricht
Wir fuhren Taxi nach Auschwitz und
sahen gläserne Kästen, randvoll
mit Schuhen bestückt, und hatten
im Keller die musikalischen
Erinnerungen der Großeltern
auf einer Langspielplatte
auf 35 Quadratmetern saßen wir
gelangweilt bis in die Mundwinkel, im TV
das karge Land, darin die Bombe
an den Körper geschnürt, einem Gott
zum Gruße, da gehn die Kindsköpfe
hoch, auf die Fensterbank klopft der Regen
da kann man von Glück reden
2005
aus: Björn Kuhligk: Großes Kino, Berlin Verlag, Berlin 2005
Die Entwicklung der deutschen Nachkriegslyrik war lange vom Diktum des Philosophen Theodor W. Adorno geprägt, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. Im 21. Jahrhundert lassen sich die Dichter von diesem Tabu kaum mehr einschüchtern. Auschwitz ist für die poetischen Nachgeborenen mittlerweile eine geschichtliche Chiffre, die aus großer Distanz betrachtet wird. Der 1975 geborene Björn Kuhligk protokolliert kühl die Indifferenz, mit der man sich gegen die fortdauernden Terror-Meldungen in den Medien wappnet.
In seinem 2003/2004 entstandenen Gedicht blendet Kuhligk die Bilder eines historisch fortdauernden Terrors übereinander: den Holocaust, die Entlastungsgeschichten der Täter und die Vollstrecker der Selbstmordattentate. Zwischendrin sitzt das televisionär verwöhnte, ohnmächtige, gelangweilte Subjekt, das den Terror naiv bestaunt. Hier gelingt etwas Seltenes: ein sarkastisches politisches Gedicht, das auf Moralismus verzichtet.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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