Björn Kuhligks Gedicht „Der schöne 38. September“

BJÖRN KUHLIGK

Der schöne 38. September

In dieser Starkstromnacht, in dieser
vom Anfang bis zum offenen Ende
durchdachten Großtraumanlage
baldowert der Mond, der Mürbeteigkeks
über den von Wolkenfäden zersägten Himmel
und die Hände, was sollen diese Hände
heute wurden 1000 Senegalesen
als Botenstoffe Europas zurückgeschickt
das Wetter, so bei AOL, wird geladen
und du, du hörst das Zusammenwachsen
der Fontanellen aller Säuglinge
dieser Stadt, du Pathos-Arsch

2007/2008

aus: Björn Kuhligk: Die Oberfläche der Erde. Berlin Verlag, Berlin 2008

 

Konnotation

Eine leichte semantische Verschiebung und aus dem Titel eines Thomas Brasch-Gedichts wird „Der schöne 38. September“. Es läge nah, den Vergleich zu suchen zwischen Björn Kuhligks (geb. 1975) Gedicht und Braschs „Der schöne 27. September“. Doch unterscheidet beide Gedichte die Deutlichkeit der Prämissen.
Kuhligks Gedicht kann als Fortsetzung und Intensivierung der politischen Prämissen bei Brasch gedeutet werden. Hatte der in seinem Gedicht von 1980 die gesellschaftliche Gegenwart als katastrophal empfunden und mit der Poesie eine Art letzte Hintertür offen gelassen, dringt aus „Der schöne 38. September“ die Ablehnung des Klischees. Vermutlich weil die gesellschaftliche Grundlage viel absurder ist als die ins Groteske zugespitzte Gedichtsprache es noch benennen könnte. Alles andere wäre Gegenstand des „Pathos-Arsch“, einer trotz katastrophaler Zustände sich im Lyrischen ergehenden Person.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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