Christian Morgensterns Gedicht „Das Nasobēm“

CHRISTIAN MORGENSTERN

Das Nasobēm

Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.

Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.

Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobēm.

1905

 

Konnotation

Dieses Gedicht des grandiosen Komikers und Meisters der Groteske Christian Morgenstern (1871–1914) hat die naturwissenschaftliche Phantasie zu allerlei krausen Spekulationen motiviert. So hat angeblich ein Professor Harald Stümpke die Säugetierordnung der Nasenschreitlinge oder Naslinge 1941 auf der Südsee-Inselgruppe Heieiei entdeckt und biologisch exakt beschrieben.
Dass es sich bei den „Rhinogradentia“ und „Nasenschreitlingen“ nicht um eine ausgestorbene Ordnung der Säugetiere, sondern um eine schöne Erfindung Morgensterns handelt, erzählt das Gedicht selbst. Was da 1905 in Morgensterns Galgenliedern auftauchte, war kein Fund aus den einschlägigen Enzyklopädien, sondern eine poetische Grille des Dichters, seiner Beschäftigung mit der „Leier“ (in der Antike: die Lyra) entsprungen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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