DETLEV MEYER
Das fragwürdige Gedicht
Bist du es?
Bist du es vielleicht,
der so viel gibt,
daß es mir reicht?
Der so sehr liebt,
daß ich ganz leicht
von all den andern lasse?
Daß ich begreif,
und daß ich fasse
nur dich –
ausschließlich dich –
und ewiglich?
Bist du es?
Bist du so rein und ohne List?
Kann sein,
daß du es bist?
O sei es!
Oder sei es nicht.
nach 1980
aus: Detlev Meyer: Korrekte Anmache. Liebesgedichte. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2004
Er wurde verehrt als der literarische Kronprinz der Berliner Schwulenszene, dessen poetische Wirkkraft indes weit über die homosexuelle Community hinaus reichte: Detlev Meyer (1948–1999) zelebrierte sein Leben als „letzter Dandy der Gegenwartsliteratur“ (Tagesspiegel) – ein an den strengen Formen Stefan Georges und Rainer Maria Rilkes geschulter Poet. Einige seiner Liebesgedichte können als moderne Klassiker der poetischen Vergegenwärtigung von Liebe und Liebesschmerz gelten.
Die Ausschließlichkeit der Liebe zu einem Menschen, die sich als eine Bindung auf Lebenszeit versteht – Detlev Meyers lyrisches Ich verweist auf die „Fragwürdigkeit“ dieser Liebes-Utopie. Die unverstellte, reine Hingabe an einen Partner erscheint hier in einem doppelten Sinne frag-würdig. Denn die absolute Liebe wurde im Gefolge der deklarierten „Kulturrevolution“ der 68er-Generation als reaktionärer „Besitzanspruch“ delegitimiert. Die Zerreißprobe zwischen Monogamie und Promiskuität – hier wird sie in eine vollkommene Form gebracht.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
Schreibe einen Kommentar