Dirk von Petersdorffs Gedicht „Die Füße des Vaters“

DIRK VON PETERSDORFF

Die Füße des Vaters

Wie seltsam war jenes Knacken, und fremd,
in der Frühe, der springende Laut
in den Füßen des Vaters – das Hemd
hing herab, weiß wie die Haut.

Weit weg und allein bist Du heute erwacht
– stehst auf. Du bist halb noch im Traum,
als es knackt, und es trifft Dich mit Macht
– ein hallender Riß durch den Raum.

1996/97

aus: Dirk von Petersdorff: Bekenntnisse und Postkarten. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1999

 

Konnotation

Manchmal, in unbewachten Augenblicken, rücken Erinnerung und Gegenwart blitzhaft zusammen: Ferne und Nähe verschränken sich in einem mystischen Moment. In acht klassisch gereimten Versen erzählt der 1966 geborene Lyriker und Romantik-Exeget Dirk von Petersdorff von einem Offenbarungsaugenblick, in dem sich die Erfahrung der Vergänglichkeit dem Ich unmittelbar mitteilt – und ein Riss geht durch die Welt.
Zunächst ist da nur die Erinnerung des Ich an den alternden Vater und dessen knackende Fußgelenke. Viele Jahre später wird der Sohn eines Morgens jäh aus einem Traum herausgerissen und erlebt in der blendenden Helle der Tagwirklichkeit eine Epiphanie: Das Knacken ist wieder da – und „mit Macht“ wird sich das lyrische Ich seiner Vergänglichkeit bewusst. Durch die Ahnung der eigenen Sterblichkeit hat sich die Welt verändert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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