DOROTHEA GRÜNZWEIG
Aufzug einer Jahreszeit
Der Herbst stach in das Stoppelfeld
aaaaaaahier ist die Messerwunde
er zieht den Feldern das Fell
aaaaaaaab sie werden uns finster vor
Augen liegen und uns in die
aaaaaaaSchneehoffnung treiben.
Sturzackerzeit ist Zurüstungszeit
aaaaaaaund Vjell
will mich die Schneesprache
aaaaaaalehren er spricht mit ruhigen
mattschimmernden Worten
aaaaaaadie er zuvor
übers Schweigen hält
aaaaaaaWorten denen ich nachhängen
kann ohne zu stürzen
2003/2004
aus: Dorothea Grünzweig: Glasstimmen lasinäänet. Wallstein Verlag, Göttingen 2004
Als Heimatdichterin besonderen Ranges darf man die 1952 bei Stuttgart geborene Dorothea Grünzweig bezeichnen. In ihrem Werk ist Heimat allerdings kein Begriff der Behaustheit an einem definitiven Ort, vielmehr ist die Heimat der seit den 1990er Jahren in Finnland lebenden Dichterin ein selbstbewusster Zustand zwischen Räumen, Sprachen und Zeiten. Der Impetus dahinter kann romantisch genannt werden: Die Rückbesinnung vieler Grünzweig-Gedichte konstituiert Heimat aus der Sprache heraus, in einer Art Erinnern und Verschmelzen von Jetzt und Vergangenheit.
Worte entwickeln in Grünzweigs Gedicht Identität: Indem der sprachlich verfasste Blick über eine Landschaft aus Worten schweift, wird Welt zu Vergewisserung des eigenen Standpunkts. Der Prozess wäre dabei nur mittelbar paradox: Indem neue, fremde Worte den Fundus erweitern schreiben sie die Bedeutung bereits bekannter Worte neu, als helfe die Fremdsprache dabei, die eigene Sprache zu übersetzen. Diese Übersetzung des Eigenen stiftet sodann Identität.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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