Eduard Mörikes Gedicht „Frage und Antwort“

EDUARD MÖRIKE

Frage und Antwort

Fragst du mich, woher die bange
Liebe mir zum Herzen kam,
Und warum ich ihr nicht lange
Schon den bittern Stachel nahm?

Sprich, warum mit Geisterschnelle
Wohl der Wind die Flügel rührt,
Und woher die süße Quelle
Die verborgnen Wasser führt?

Banne du auf seiner Fährte
Mir den Wind in vollem Lauf!
Halte mit der Zaubergerte
Du die süßen Quellen auf!

1828

 

Konnotation

Die Unergründlichkeit der Liebe und die Qualen, die sie verursachen kann, hat der schwäbische Gottesmann und Dichter Eduard Mörike (1804–1875) in seinem 1828 entstandenen Gedicht in ein vertracktes „Frage und Antwort“-Spiel übersetzt. Bereits die Frage nach der Herkunft der „bangen Liebe“ findet keine Antwort, und auch beim Versuch zu erklären, warum es unmöglich ist, den „bittern Stachel“ der Liebespassion zu mildern, hilft einem die Vernunft nicht weiter.
Mörike illustriert die Unauslotbarkeit der „bangen Liebe“, indem er in der imaginierten Dialogsituation zwei neue Fragen stellt, statt Antworten zu geben. Am Beispiel zweier ähnlich unergründlicher Naturphänomene, des Windes und der Quelle, wird markiert, dass die Liebe zu den Naturmächten gehört. Auch die letzte Strophe gibt – trotz der Ausrufezeichen – keine expliziten Antworten zum Ursprung des Liebesleids, sondern zeigt nur seine Unvermeidlichkeit. Wer der Liebe verfallen ist, kann auch ihren Qualen nicht entkommen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00