ELISABETH BORCHERS
Adieu
Und plötzlich bist du ganz allein
aaaaaaaaaaaaaaaim Raum
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaader Welt
Die Ärzte legen ihren Kittel ab
Die Schläuche ziehen sich zurück
Die Hand hält an der Blüte fest
Der sternenübersäte Ort der letzten Atempause
rollt vorbei
Was weiß denn ich
wohin
nach 2000
aus: Elisabeth Borchers: Eine Geschichte auf Erden. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2002
An der Grenze von Leben und Tod tritt plötzlich Stille ein. Die Geschäftigkeit der Welt verschwindet, und das moribunde Subjekt wird ganz auf sich selbst zurückgeworfen, gelangt an eine Schwelle, auf der keine Richtungsbestimmung mehr möglich. ist. Elisabeth Borchers (geb. 1926), die auf ihrem literarischen Lebensweg von einem feinsinnigen Surrealismus zu einer existenziellen, meditativen Lakonie gelangt ist, zeigt ein Ich in dieser Grenzsituation des Abschieds.
Ihr Text sei die Trauer, hat Borchers in einem ihrer schönsten Gedichte gesagt. In ihrem lyrischen „Adieu“ verbinden sich Einsamkeit und Wehmut und ein subtiler Beharrungswille. Denn das Ich hält ja an etwas fest – zwar nicht an der „blauen Blume“ der romantischen Utopie, aber doch immerhin an einer „Blüte“. Und der Ort der „letzten Atempause“ wird mit dem Bild des Sternenhimmels verbunden.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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