Elisabeth Borchers’ Gedicht „Die Requisiten meiner Kindheit“

ELISABETH BORCHERS

Die Requisiten meiner Kindheit

Vater, Mutter
und Ida, die Büglerin
und Sascha, der Hund
mein jährlicher Tannenbaum
mein Engelsflaum.

Gebetet habe ich
daß alles gut werde.
Auch für die Eidechsen im Sommer
daß sie erwachsen werden
und ihren Eltern Freude bereiten
auf der steinernen Treppe
hinauf und immer höher hinauf.

2002

aus: Elisabeth Borchers: Eine Geschichte auf Erden. Suhrkamp Verlag Frankfurt a.M. 2002

 

Konnotation

Die Hoffnung, dass es einen Weg geben könnte aus dem „beschädigten Leben“ (Theodor Adorno) in eine bessere Welt – das ist meist die Domäne der Kinder. Diese Phantasie, „dass alles gut werde“, ist auch für das lyrische Subjekt von Elisabeth Borchers (geb. 1926), die Antriebskraft aller Wünsche. Wir erfahren in diesem Gedicht nicht. ob sich diese Kindheitsszene noch im niederrheinischen Homberg abgespielt hat, wo Elisabeth Borchers geboren wurde, oder schon im großelterlichen Haus im Elsaß, wohin die Familie vor dem beginnenden Bombenkrieg geflüchtet war.
Die Richtung der Hoffnung ist hier eine Aufwärtsbewegung, die den Routen der Eidechsen folgt. „Immer höher hinauf“ will die Phantasie des Ich, die nach Möglichkeiten sucht, das Paradies der Kindheit zu retten. „Wir halten Einkehr / in den kleineren Wörtern“, hat Elisabeth Borchers einmal im Gedicht „Rückschritte“ ihre Poetik formuliert. Es ließe sich hinzufügen: Die poetische „Einkehr“ speist sich aus versunkenen und wiedererweckten Kindheitsaugenblicken.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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