Elisabeth Borchers Gedicht „Zukünftiges“

ELISABETH BORCHERS

Zukünftiges

Als alles vorbei war
Krieg und Frieden
Mann und Frau
Form und Inhalt

Als die Sonne auf-
und untergegangen war
samt Mond und Stern und
den Musikalien des Himmels
und der Erde

Setzten wir uns
und warteten
auf das
was kommt

1992

aus: Elisabeth Borchers: Alles redet, schweigt und ruft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2001

 

Konnotation

Vorbei! Ein dummes Wort“, hat Goethe (1749–1832) im Faust seinen Mephistopheles sagen lassen. Die Behauptung des unwiderruflichen Endes, die diesem „Vorbei“ innewohnt, ist auch für das poetische Bewusstsein nicht zu akzeptieren. In einem ihrer asketischen, bis aufs Äußerste verknappten Gedichte spricht die Dichterin Elisabeth Borchers (geb. 1926) in einer schönen Paradoxie von der Gewissheit, dass nichts „vorbei“ ist – auch wenn alles zu Ende geht.
Selbst nach dem Ende aller Lebensdimensionen findet noch Zukunft statt. Und auch wenn Elisabeth Borchers in ihren Gedichten das Verschwinden der Welt registriert, leuchtet irgendwo eine Verheißung auf. Das macht den Reiz ihrer stillen, meditativen Verse aus, die sich aller auftrumpfenden Metaphorik enthalten. Auf der Höhe dieser Gedichte, so hat Arnold Stadler über Elisabeth Borchers geschrieben, „ist nicht alles verloren, wenn alles verloren ist.“

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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