ELKE ERB
Hitlerjugend-Anekdote
Mein Freund H., ein Pfarrer, sagte,
daß er kicherte
daß er bei der HJ kicherte
daß er bei der HJ kicherte im Glied
daß er bei der HJ kicherte im Glied, wenn die Gleichaltrigen
daß er bei der HJ im Glied kicherte, wenn die Gleichaltrigen ihre Kommandos
daß er bei der HJ, wenn die Gleichaltrigen ihre Kommandos brüllten, immer kichern mußte im Glied.
1982
aus: Elke Erb: Kastanienallee, Residenz Verlag, Salzburg-Wien 1988
Die 1938 in der Eifel geborene und 1949 in die damalige DDR übergesiedelte Dichterin und Wortforscherin Elke Erb praktiziert in ihren assoziativ mäandernden und stets ihre eigene Vorläufigkeit betonenden Gedichten eine Art Bewusstseinsinventur. Ihre Poesie ist akribische Selbstbeobachtung und zielt auf die Verortung eines ungefestigten Ich in wechselnder Topographie und Sprachlandschaft.
Die „Hitlerjugend-Anekdote“ ist im März 1982 entstanden. Die Autorin hat ihrem Gedicht in ihrem preisgekrönten Gedichtband Kastanienallee einige hochkomplexe „Betrachtungen“ über das Verhältnis von „Sinngestalt“ und „Textgestalt“ hinzugefügt. Tatsächlich bezieht das Gedicht seine nicht geringe Komik aus der beständigen Wiederholung und Unterbrechung eines unfertigen Satzes und der semantischen Mehrdeutigkeit der Vokabel „Glied“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Schreibe einen Kommentar