ELSE LASKER-SCHÜLER
So lange ist es her…
Ich träume so fern dieser Erde
Als ob ich gestorben wär
Und nicht mehr verkörpert werde.
Im Marmor deiner Gebärde
Erinnert mein Leben sich näher.
Doch ich weiß die Wege nicht mehr.
Nun hüllt die glitzernde Sphäre
Im Demantkleide mich schwer.
Ich aber greife ins Leere.
1939
aus: Else Lasker-Schüler: Gedichte 1902–1943. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1996
Im Frühjahr 1939 musste Else Lasker-Schüler (1869–1945), „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“ (Gottfried Benn), endgültig ihr Exilland Schweiz verlassen und nach Palästina emigrieren. Dort verliebte sich die Siebzigjährige in den dreißig Jahre jüngeren Pädagogen Ernst Simon, eine Liebe, die unter keinem guten Stern stand. Das lyrische Resultat ihrer unglücklichen Liebe sind zwölf Gedichte im Band Mein blaues Klavier, ein Zyklus, der mit dem Titel „An ihn“ überschrieben ist.
Das Gedicht legt Zeugnis ab von der einsamen Entrücktheit des lyrischen Ich, das seine irdische Existenz offenbar schon hinter sich gelassen hat. Das Gefühl der universellen Fremdheit hat vom „schwarzen Schwan Israels“ (Peter Hille über Else Lasker-Schüler) Besitz ergriffen. Denn schon im Versuch der Annäherung an das unnahbare Du wird die Erfahrung der Leere und die Wahrnehmung des eigenen Gestorbenseins übermächtig.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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