Erich Frieds Gedicht „Die Zeit der Steine“

ERICH FRIED

Die Zeit der Steine

Die Zeit der Pflanzen
dann kam die Zeit der Tiere
dann kam die Zeit der Menschen
nun kommt die Zeit der Steine

Wer die Steine reden hört
weiß
es werden nur Steine bleiben

Wer die Menschen reden hört
weiß
es werden nur Steine bleiben

1962/63

aus: Erich Fried: Reich der Steine, Claassen Verlag, Hamburg 1963

 

Konnotation

Die prophetische Intention dieses Gedichtes von Erich Fried (1921–1988) ist auf sehr unterschiedliche Weise interpretiert worden, in politischen aber auch esoterischen Kontexten. Der Text steht ursprünglich im Zentrum eines poetischen Zyklus mit dem Titel „Reich der Steine“, der 1962/63 entstanden ist, in einer Werkphase kurz vor dem Übergang zur dezidierten Politisierung von Frieds Lyrik. im Zyklus selbst werden alle Bedeutungsschattierungen und Symboliken der „Stein“-Metapher durchgespielt.
Man kann das Gedicht als negative Schöpfungsgeschichte lesen, als Vision eines Übergangs der Evolution in post-humane Zustände, die „Zeit der Steine“ wäre hier eine menschenleere Welt. Eine andere Lesart verweist auf die immanente Magie der Steine, auf ihre faszinierende Stofflichkeit und mythologische Bedeutung, von der auch andere Gedichte des Zyklus handeln.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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