ERICH MÜHSAM
Kracht der Topf in Scherben
Kracht der Topf in Scherben,
fliegt er auf den Dung.
Menschlein, du mußt sterben,
bist du noch so jung.
Blumen müssen welken,
und die Kuh verreckt,
die wir heut noch melken,
daß der Eimer leckt.
Steine selbst zerfallen,
Länderspur verwischt.
Ton und Klang verhallen,
und das Licht erlischt.
Welten gehn in Stücke
ohne Rest und Spur.
Ewig lebt die Tücke,
lebt das Unheil nur.
1914
Anarchistische Agitation war das Lebenselixier des Dichters Erich Mühsam (1878–1934). Mit seinen „sozialistischen Umtrieben“ schockierte der linke Bohemien schon früh die wilhelminische Gesellschaft, die seine polemische Treffsicherheit mit Repression beantwortete. In seinen Gedichten schwankte er zwischen scharfer Staatskritik und finsterem Fatalismus.
In seine 1914 publizierte Sammlung Wüste – Krater – Wolken nahm Mühsam auch sein bitteres Gedicht von der Vergänglichkeit aller Dinge und Lebewesen auf. Während er auf politischem Terrain nicht müde wurde, den Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse zu fordern, scheint er hier als Dichter vor dem Triumph von „Tücke“ und „Unheil“ zu resignieren. Am 2. Februar 1934 wurde Erich Mühsam von seinen SS-Bewachern im KZ Oranienburg ermordet.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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