EUGEN GOMRINGER
vielleicht
vielleicht baum
baum vielleicht
vielleicht vogel
vogel vielleicht
vielleicht frühling
frühling vielleicht
vielleicht worte
worte vielleicht
1950er Jahre
aus: Eugen Gomringer: worte sind schatten. die konstellationen 1951–1968, Rowohlt Verlag, Hamburg 1969
„knappheit im positiven sinne – konzentration und einfachheit – sind das wesen der dichtung“: So lautet das poetische Credo des 1925 geborenen Dichters Eugen Gomringer in seinem Manifest vom vers zur konstellation (1954). Der Doyen der experimentellen Poesie hat mit seiner Miniatur „vielleicht“ ein extrem knappes Frühlings-Gedicht geschrieben, in dem der Frühling gleichsam unter Vorbehalt steht.
Im Gedicht steht alles unter dem Vorbehalt des Modaladverbs „vielleicht“. Die Sprachzeichen, die auf ein Erwachen des Frühlings hindeuten („baum“, „vogel“, „frühling“), werden als Hypothesen kenntlich gemacht. Es geht aber nicht nur um die hypothetische Realität des Frühlings sondern auch um die Möglichkeit, gültige Worte zu setzen, die Realität herstellen. Selbst die Existenz der Worte und ihre wirklichkeitsstiftende Kraft werden ja in Zweifel gezogen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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