Ferdinand Hardekopfs Gedicht „Signalement“

FERDINAND HARDEKOPF

Signalement
(Nach dem Russischen)

Organismus: glaubt an Gott.
Schlüsselbein: will himmelwärts.
Um die Lippen: etwas Spott.
Und Revolte schlägt das Herz.

Ohne Heimat. Ohne Ziel.
Auch das Alter weiss man nicht.
Höchst verdächtiges Profil.
Geistig blinzelndes Gesicht.

1921

 

Konnotation

Er gilt zwar als einer der Vorreiter des Expressionismus, aber die grellen Weissagungen vieler Expressionisten, ihr Schwanken zwischen Abgebrühtheit und Hysterie war nicht unbedingt die Sache von Ferdinand Hardekopf (1876–1954). Der antinationalistische, pazifistische Dichter, Übersetzer und Kritiker verließ Deutschland zuerst 1916, endgültig dann 1922. Seine eleganten, schwerelosen Miniaturen sind Übungen in der Kunst des Weglassens. Von sich selbst sagte der Autor eines schmalen Werks bündig: „Übt mehr Verheimlichung als Veröffentlichung“.
„Signalement“ lässt sich als ironisches Versteckspiel mit der eigenen Person lesen: Hier geht es nicht um eine Nachdichtung; vielmehr wird ein Suchbild im Stil einer mehr oder weniger fiktiven „russischen“ Behördensprache verfasst. Der bekennende Dandy und Morphinist Hardekopf, von seinem Freund Kurt Hiller ein „großzügig Zerrütteter“ genannt, entwirft einen spöttischen, genießerisch verdrehten Steckbrief. Er erschien in der Sammlung Privatgedichte von 1921.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00