FERDINAND HARDEKOPF
Spät
Der Mittag ist so karg erhellt.
Ein dunkler See sinkt in sein Grab.
Dies ist das letzte Licht der Welt,
Das bleichste Glimmen, das es gab.
Aus Sümpfen schwankt Gestrüpp und Baum.
Die Birken-Nerven ästeln weh.
Die Zeit erblaßt, es krankt der Raum.
Es gilbt das Schilf im toten See.
Die Luft strömt grau ins Mündungs-All.
Der Rabe schreit. Der Wald schläft ein.
Mich trennt ein rascher Tränenfall
Vom Ende und der Flammenpein.
1921
aus: Ferdinand Hardekopf: Dichtungen, Arche Verlag, Zürich 1963
Der passionierte Übersetzer und Dichter Ferdinand Hardekopf (1876–1954) besaß viel zu viel ironischen Esprit und liebte viel zu sehr die dandyhaften Attitüden, um es auf Dauer im Kreis seiner expressionistischen Dichterfreunde auszuhalten Bereits 1920 distanzierte er sich von den „unzurechnungsfähigen Plärrern“ mit dem „expressionistischen Jargon“, deren Texte ihm wie das „Lallen begabter Lustsäuglinge“ erschienen. Für ihre Untergangs-Stimmungen war aber auch er anfällig.
In Hardekopfs Gedicht, das in seinem schmalen Opus magnum Privatgedichte (1921) erschien, legt sich ein finsteres Spätzeitbewusstsein über die Mittagsszenerie. Das „letzte Licht der Welt“ glimmt mit seinem kranken Leuchten, die Dimensionen Zeit und Raum sind wie die Naturerscheinungen selbst in ihr Verfallsstadium eingetreten. Der frankophile Pazifist hatte Deutschland schon 1916 zum ersten Mal verlassen, 1922 floh er endgültig in die Schweiz und später nach Frankreich.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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