FRANK WEDEKIND
Mein Käthchen
Mein Käthchen fordert zum Lohne
Von mir ein Liebesgedicht.
Ich sage: Mein Käthchen verschone
Mich damit, ich kann das nicht.
Ob überhaupt ich dich liebe,
Das weiß ich nicht so genau.
Zwar sagst du ganz richtig, das bliebe
Gleichgültig; doch, Käthchen, schau:
Wenn ich die Liebe bedichte,
Bedicht ich sie immer vorher,
Denn wenn vorbei die Geschichte,
Wird mir das Dichten zu schwer.
1905
Kein moderner Schriftsteller hat die romantische Liebe so gründlich entmythologisiert wie Frank Wedekind (1864–1918), der angriffslustige Kabarettist, Bohemien und Dramatiker. Was er in seinen antibürgerlichen Dramen wie Lulu (1913), diesen grotesken Szenenfolgen über die Käuflichkeit und Korrumpierbarkeit des Liebesgefühls, nicht thematisiert hatte, delegierte er an seine leichthändig geschriebenen Gedichte.
1905 innerhalb des Zyklus „Sommer“ erstmals veröffentlicht, positioniert sich Wedekind hier als Gegenfigur zum romantischen Dichter. Denn es wird vom lyrischen Subjekt nicht nur das Liebesbekenntnis verweigert, sondern auch die poetischen Imaginationen der Liebes-Utopie. Stattdessen übt sich das lyrische Ich Wedekinds in der Bekundung emotionaler Unentschiedenheit – eine literarische Liebes-Verweigerung erster Klasse.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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