FRANZ MON
augenzeuge
siehst du
da siehst dus
da siehst dus doch
da siehst dus doch mal wieder
was du schon siehst
was du schon wieder siehst
was siehst du denn schon wieder
siehst du denn schon wieder was
was kannst du schon sehen
was kannst du schon gesehen haben
was willst du denn gesehen haben
was hättest du überhaupt sehen können
hättest du überhaupt was sehen wollen
siehst du!
so siehst du aus
das sieht doch ein blinder mit der krücke
1981
aus: Franz Mon: Gesammelte Texte Bd.II: herzzero, Janus Press, Berlin 1996
In einer Art sprachmaterialistischem Purismus konzentriert sich die experimentelle Dichtung des 1926 geborenen Franz Mon auf „die buchstäbliche Existenz des Wortes“. Dabei versucht der Autor in seiner unermüdlichen Spiellaune das sprachliche Versuchsfeld klein zu halten und zugleich alle Möglichkeiten des jeweiligen Vokabulars durchzuspielen. So auch in seinem 1981 entstandenen Versuch über den „augenzeugen“.
Hier erprobt Mon ein einfaches, aber verblüffend produktives Verfahren – nämlich „veränderungen durch unauffällige hinweise durch geringfügige änderungen kumulation durch kleine änderungen“. Aus drei unterschiedlichen Sprechhaltungen wird die Glaubwürdigkeit des „augenzeugen“ überprüft: Der Imperativ will die sinnlich-visuelle Evidenz des „augenzeugen“ bekräftigen, die Frageform weckt Zweifel, der Konjunktiv schließlich entwertet die Augenzeugenschaft.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Schreibe einen Kommentar