FRANZ WERFEL
Ich bin ein erwachsener Mensch
Ich hab so ein Verlangen
Nach Mitleid und nach Zärtlichtun.
Ich möchte nun
Im Bette liegen stundenlang,
So kindergut, so fieberkrank
Und liebe Hände langen.
aaaaaIch hab’ so ein Verlangen.
Kein Mensch will mich bewachen
Und niemand hätschelt mich und summt.
Ach, alle Freundlichkeit verstummt.
Und keine kleine Lampe brennt,
Und niemand der mich Bubi nennt,
Kein Spielzeug, und kein Lachen.
Wer streichelt meine Wangen?
aaaaaIch hab so ein Verlangen.
um 1938
aus: Franz Werfel: Das lyrische Werk. Hrsg. v. Adolf I. Klarmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1967
Mit diesem fast flehentlich um Zuwendung bittenden Gedicht aus seinem Spätwerk hatte sich der Dichter und Erzähler Franz Werfel (1890–1945) weit von seinen hymnisch-expressionistischen Anfängen entfernt. Seine frühen lyrischen Versuche sind häufig als die Welt umarmende Anrufungen angelegt. In späteren Werken entfaltet sich eine Einfachheit des Tones, die um die elementaren Lebensrätsel kreist: Kindheit und Tod, Zuneigung und Zärtlichkeitsbedürfnis.
Das Verlangen nach zärtlicher Zuwendung maskiert sich hier, in dem um 1938, kurz vor oder nach der Emigration Werfels nach Frankreich entstandenen Gedicht, als Regressionswunsch. Es ist, wie nur wenige Gedichte Werfels, in einem anrührenden Liedton gehalten. Das lyrische Ich imaginiert sich als Kleinkind, das seine Verlassenheit beklagt. Was bleibt, ist ein unerfüllbares Verlangen – das auch in dem weichen Reim und dem weiblichen Versende nachtönt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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